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4.3.3 Der Betreiber ist nicht immer Schuld! Schadenbegünstigende Einflüsse aus Fertigung und Montage

 Als Autobesitzer haben wir bei einem Motorschaden gewöhnlich zunächst insgeheim ein schlechtes Gewissen. War der Ölwechsel nicht bereits längst fällig? War der Kühlwasserstand bedenklich niedrig? War der Tausch des Zahnriemens nicht längst fällig?

So sind wir nicht selten allzu bereit, vorschnell den Vorwurf eines eigenen Fehlverhaltens zu akzeptieren. Bei genauerem Hinsehen stellt sich dann unter Umständen heraus, dass die eigentliche Schadensursache ganz woanders zu suchen ist, z.B. bei einem fehlerhaften Bauteil oder der Montage. Typisch für solche Situationen ist, dass der Schaden erst nach Laufzeiten eintritt, wenn der Bezug zum Neuteil nicht mehr nahe liegt.

Für den Betreiber einer Gasturbine ist es wichtig, typische schadensauslösende Einflüsse zu erkennen, die von ihm nicht zu verantworten sind. Dies sind insbesondere Probleme aus Fertigung und Montage. Um solche Einflüsse zu identifizieren und nachzuweisen, benötigt man Fachkunde zu der man Vertrauen haben kann. Man findet sie fallspezifisch und der Interessenlage entsprechend bei

  • OEM,
  • Versicherung,
  • unabhängiger Sachverständiger,
  • eigene Spezialisten.

Wichtig ist, dass eine nachvollziehbare und ausreichend dokumentierte Problemanalyse vorgenommen wird. Ermüdungsbrüche gehen immer von einer örtlichen Schwächung wie Riefe, Kerbe, Pore oder einer Werkstoffschädigung aus. Eine Schwachstelle (Ungänze) liegt innerhalb der Spezifikationsgrenzen und ist nicht als schadensursächlicher Fehler zu betrachten. Liegen die Merkmale außerhalb der Spezifikation/Zeichnung die den Stand der Technik berücksichtigt, spricht man von einem (schadensursächlichen) Fehler. Handelt es sich um eine Schwachstelle, ist gewöhnlich die Betriebsbeanspruchung als Hauptursache anzusehen. Damit steht der Betreiber im “Verdacht“. Liegt jedoch die Schwachstelle außerhalb des Vorschriftsbereichs oder wurde eine falsche Vorschrift angewandt, so ist der Schaden eher vom OEM und/oder dem Lieferanten der Bauteile zu vertreten. Schwachstellen sind z. B. werkstofftypische Poren in Gussteilen wie Turbinenschaufeln. Dagegen sind z.B.Schleifrisse im Schaufelfuß wahrscheinlich Fehler.

Schäden an Heißteilen durch Kriechen oder Thermoermüdung sind nicht immer vom Betreiber zu verantworten. Der Schluss auf Übertemperaturen wegen einer Fehlbedienung sollte kritisch betrachtet werden. Verstopfungen und Reaktionen in den Kühlluftbohrungen durch Eingießmassen, Beschichtungshilfsstoffe oder reaktive Strahlmittel sind nur mit einer genauen Untersuchung nachzuweisen. Sie sind fertigungsbedingt und liegen natürlich außerhalb des Verantwortungsbereichs des Betreibers.

Außergewöhnliche Rissbildung durch Thermoermüdung in den Blättern von Turbinenschaufeln kann im Zusammenhang mit zu dicken Diffusionsschutzschichten stehen.

Verstöße gegen den Stand der Technik, d.h. nicht Berücksichtigung eines Schadensmechanismus, der dem Fachmann bekannt sein müsste, sind möglicherweise weniger selten als angenommen. Eine Sonderstellung nehmen dabei Gasturbinen ein, die von Flugtriebwerken abgeleitet sind (Derivate). Einerseits profitieren sie von der aufwändigen Entwicklung und der Serienerfahrung. Andererseits erfordern erfahrungsgemäß im Triebwerk erkannte Schwachstellen sofortige Abhilfe. In Derivaten wird das möglicherweise erst mit einer Zeitverzögerung nachgeholt. Dies liegt wohl an den Prioritäten. Organisatorische Trennungen zwischen den Sparten Triebwerke und Industriegasturbinen begünstigen derartige Probleme.

Ein Montageprozess kann ebenfalls Ursache für Schäden sein. So können falsche Schmiermittel zum Schraubenbruch führen. Unvorsichtige Behandlung lässt Riefen, Kerben oder Deformationen entstehen und damit das Risiko eines späteren Bauteilbruchs (Beispiel 4.3-3). In der Maschine zurückgelassene Fremdkörper und Verunreinigungen könnenVerdichter- oder Lagerschäden auslösen.

Mit diesen Beispielen sind natürlich die Möglichkeiten der nicht vom Betreiber zu verantwortenden Schadensursachen keineswegs erschöpft. Im Falle eines Verdachts sollte der Betreiber eine neutrale Überprüfung ins Auge zu fassen.

Literatur zu Kapitel 4.3

4.3-1 J.F.Rudy, Beitrag zur Asian Aircraft Engineering and Maintenance, 1986. Conference Proceedings Seite 128.

4.3-2 P.H. Wulff, „Optimierung der Unterhaltskosten von Gasturbinen“, aus „Gasturbinen in Praxis und Entwicklung“, VDI-Gesellschaft Energietechnik, VDI-Berichte 1721, ISBN 3-18-091721-0, Seite 157 bis 168.

de/4/43/433/433.txt · Zuletzt geändert: 2023/08/16 10:11 von ittm_indgasturbde