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5.2 Technologie der Komponenten moderner Gasturbinen
Die hochglanzlackierten Stoßstangen sind in die Karosserie integriert. Vielleicht kommt das, dank guter Aerodynamik, dem Kraftstoffverbrauch zugute? Kein das Auge störender schwarzer Gummiwulst. Das ist Eleganz! Aber bietet eine solche Konstruktion auch dem Betreiber handfeste Vorteile? Eine kleine „Tuchfühlung“ mit Verkehrspartnern führt zu ärgerlichen Beschädigungen. Ein gutes Äußeres schreit nach einer Lackierung oder gleich einem Tausch. Das muss mit hohen Kosten erkauft werden.
Auch der Trend zur scheinbar unbegrenzten Steigerung der Motorleistung ist beeindruckend. Sogar der Kraftstoffverbrauch könnte sinken, wenn die nun angebotene Leistung von uns nicht voll genutzt wird. Natürlich beeinflusst das dann auch die Beanspruchung und die Lebensdauer anderer Komponenten, z.B. der Reifen.
Auch eine Gasturbine unterliegt dem Zwang der Weiterentwicklung. Dabei soll, ähnlich dem Auto, neben Trends die der Gesetzgeber vorgibt (z.B. Emission), auch der Kraftstoffverbrauch sinken. Natürlich besteht oft der Wunsch gleichzeitig die Leistung zu steigern. Dies führt zu steigender Beanspruchung der Komponenten und steht deren Robustheit eher entgegen. Wie verhalten sich z.B. 3- D-Profile moderner Verdichterschaufeln mit dünnen Kanten und hoher Oberflächengüte über lange Betriebszeiten wenn Erosion und Fouling eine Rolle spielen? Wie empfindlich sind die eine hohe Lebensdauer der Heißteile ermöglichenden Wärmedämmschichten gegen Erosion durch Koks aus der Brennkammer und gegen Erosion durch Luftverunreinigungen? Fragen, die Anliegen des Autofahrers verblassen lassen.
Moderne Industriegasturbinen weisen bereits die typischen Technologien der neuen Fluggasturbinengeneration auf. In diesem Kapitel sollen in erster Linie die Trends in den Bereichen Gestaltung, Werkstoff- und Herstellungstechnologien sowie Lebensdauerabschätzung und Überwachungstechniken behandelt werden.
Verdichterschaufeln die am Überschallbereich arbeiten haben sehr scharfen Kanten. Damit nimmt ihre FOD-Empfindlichkeit zu. Stetig steigende Stufendruckverhältnisse und Stufenbelastungen verkleinern die zulässigen Spielräume für betriebsbedingte Veränderungen an den Schaufeln. Eine Rauigkeitszunahme oder Änderung der Kantengeometrie eines Blattprofils durch Erosion kann immer weniger toleriert werden. Die hohen Verdichterenddrücke erfordern kleine Spitzenspalte bei kleineren Schaufeln. Wegen der dünneren Grenzschicht reagiert das Betriebsverhalten immer empfindlicher auf Rauigkeiten ( "Bild 3.1.1-2"). Um aus Kostengründen die Zahl der Schaufeln und Scheiben zu reduzieren, wird die Stufenzahl vermindert. Dies führt zu Schaufeln mit großer Sehnenlänge, sog. „Wide Chord Schaufeln“ mit einer Empfindlichkeit für Eckenschwingungen (engl. lyra mode, "Bild 3.1.2.1-5a6a7a8"). Die hohen Strömungsgeschwindigkeiten setzen hohe Rotordrehzahlen voraus. Dies mit den, im Vergleich zu älteren Verdichtern, deutlich schwereren Schaufeln führt zu großen Fliehkräften, die in besonderem Maß den Schaufelfuß und die Scheibe belasten. Das lässt Probleme für den Langzeiteinsatz erwarten. Um das Rotorgewicht zu reduzieren, geht man auf sogenannte Blisks (Bild 3.1.1.5-1) über. Hier sind die Schaufeln integral mit der Scheibe verbunden. Die Schaufeln werden also nicht mehr einzeln an den Füßen in Scheibennuten gehalten. Die fehlende Kerbwirkung ermöglicht einen leichteren Kranz ( "Bild 3.1.2.1-1a2a3a4"). Dies führt zu einem leichteren Rotor mit entsprechend kleinem Materialeinsatz. Verbesserungen der Fertigungstechnik lassen in Zukunft auch beim Neuteil einen Kostenvorteil erwarten. Ob die Frage der Einzelschaufelreparatur und der Logistik bei Blisks befriedigend gelöst ist, muss sich noch im praktischen Betrieb an Schweißreparaturen (Lineares Reibschweißen, EB-Schweißen) in Flugtriebwerken zeigen.
Die Forderungen nach engen Spitzenspalten verlangen Maßnahmen mit dem Ziel, die Dehnung von Rotor und Gehäuse im Betrieb aufeinander abzustimmen. Man erreicht dieses Ziel mit einer geregelten Kühlung oder Aufheizung der Gehäuse mit Verdichterluft (“Active Clearance Control“). Auch Maßnahmen wie das Anbringen von Massen (Erwärmungsträgheit) am Gehäuse oder örtlicher Wärmeisolation in Form von Beschichtungen sind anwendbar. Sie müssen nicht selten auch ein ausreichendes Einlaufverhalten ( "Bild 3.1.2.4-4") für die Rotorschaufelspitzen aufweisen. Das erfordert Kompromisse. Schichtausbrüche und Erosionsschäden werden zu typischen Problemen. Sie wirken sich auf Lebensdauer und Kraftstoffverbrauch der Maschine aus.
Nimmt man den hervorragenden Wirkungsgrad einer Gasturbine, insbesondere des Verdichters, als gegeben, stellt sich das Problem, diesen über die Betriebszeit zu erhalten. Das heißt die Deterioration ist zu minimieren. So werden Dichtungen zur zentralen Herausforderung. Um die unvermeidliche Problematik der bleibenden Spaltvergrößerung bei Labyrinthdichtungen besser in den Griff zu bekommen, bieten sich Bürstendichtungen ( "Bild 3.1.2.4-8") an. Sie nutzen das Prinzip der Abdichtungen von Pendeltüren. Solche Bürstendichtungen haben auch nach einer Spaltüberbrückung Vorteile beim Versagensmechanismus (selbstverstärkende Aufheizung) und einem verminderten Ausrieb. Bisher sammelt man Langzeiterfahrungen, um die Vorteile in stationär betriebenen Maschinen zu zeigen.
Über die Problematik mit Brennkammern nach dem Dry-Low-NOx Prinzip oder solchen mit Wassereinspritzung bzw. Dampfeinblasung wird in Kapitel 3.2.2 berichtet. Diese Brennkammern müssen ihre mechanische und funktionelle Tauglichkeit beweisen. In diesem Zusammenhang sei nochmals darauf hingewiesen, dass kostspielige Entscheidungen ausreichende Nachweise und Zusagen vom OEM erfordern. Moderne Brennkammern sind mitunter in Schindelbauweise ausgeführt ( "Bild 3.2.1-4"). Die Schindelstruktur ist dem Brennraum zugewandt und an einem tragenden Mantel befestigt. So wirkt auf die einzelnen Schindeln keine unzulässige Verformungsbehinderung. Die geringe Thermoermüdungsbelastung einer solchen Konstruktion ist erfahrungsgemäß ein Vorteil gegenüber der konventionellen “einschaligen“ Bauweise. Es fragt sich jedoch, wie die prinzipbedingt stärkeren Schwingungen der Dry-Low-NOx- Brennkammern ( "Bild 3.2.2-5") auf die Dauer beherrscht werden können und es nicht zu Ermüdungsbrüchen der Schindelaufhängungen kommt.
Eine Technologie, die sich noch in der Entwicklungsphase befindet, ist die katalytische Verbrennung. Ob sie die praktische Einsatzreife erlangen wird, lässt sich derzeit noch nicht sagen. Von Erdgas ist zumindest eine Schädigung des Katalysators durch Verunreinigungen eher unwahrscheinlich.
Folge des Trends eines höheren thermischen Wirkungsgrads sind ansteigende Turbineneintrittstemperaturen. Diese Gastemperaturen liegen nicht selten deutlich über dem Erweichungspunkt des Werkstoffs der Beschaufelung. So werden auch konstruktive Anstrengungen für eine effektive Kühlung größer. Mit möglichst wenig Kühlluft soll ein ausreichender Temperaturabfall im Heißteil erreicht werden. Ausgeklügelte, oft sehr filigrane Kühlluftstrukturen ( "Bild 3.3-3" und "Bild 3.3-6"), die leider gegen Betriebseinflüsse wie FOD, Heißgaskorrosion oder Verstopfung ( "Bild 3.3-12") empfindlich sind, werden notwendig. Je größer die Temperaturgradienten, umso wahrscheinlicher sind Probleme mit Thermoermüdung. Die geringere Wärmedehnung der gekühlten Innenquerschnitte bedeutet hohe Zugbeanspruchungen ( "Bild 3.3-17"). Probleme einer Verstopfung der Kühlluftkanäle durch Oxide und Staub treten immer mehr in den Vordergrund. Sind Wärmedämmschichten auf den Schaufelblättern von Lauf- und Leitschaufeln der Turbine Bestandteil der Auslegung, ist dies sehr viel kritischer zu bewerten als wenn sie lediglich zusätzlicher Sicherheit dienen.
Die relativ dünnen Wandungen gekühlter Turbinenschaufeln werden von den spröden Schutzschichten mit relativ niedriger Festigkeit geschwächt. Die Auslegung berücksichtigt das zwar, wenn es sich aber im Betrieb zeigt, dass besondere Einflüsse andere Schichten (z.B. Oxidationsschutz anstatt Sulfidationsschutz) erforderlich machen, kann es mit der Lebensdauer problematisch werden.
Die immer höheren Drehzahlen und Temperaturen können bei den Rotoren, insbesonders bei einigen sehr hoch belasteten Komponenten, zu einer Lebensdauerbegrenzung führen. Das beeinflusst Überholintervalle und Kosten merklich. Die ausschlaggebende Beanspruchung ist dabei die zyklische Dehnung der Scheiben bei Drehzahl- und Laständerungen (LCF, "Bild 3.1.2.1-0"). Es ist also für den Betreiber von besonderem Interesse zu wissen, welche Bauteile solche Lebensdauerbegrenzungen aufweisen. Nicht immer ist daher die „Höchstleistungsmaschine“ die kostengünstigste Wahl.