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4.2.1 Reparaturfreundlichkeit der Gasturbine vor Ort
Wir alle kennen Autos, bei denen der Austausch einer Zündkerze größter Fingerfertigkeit bedarf und der Ersatz eines Keilriemens oder eines Wasserschlauchs ohne Ausbau des Motors zur unlösbaren Aufgabe wird. Diese Probleme steigern sich bei modernen Autos. Besonders unangenehm wird es, wenn wir von einer Panne betroffen sind. Selbst die hilfreichen Fachleute vom Pannendienst sind heute gegenüber der geballten Macht von Elektronik und allgemeiner Verkapselung vor Ort hilflos. Nur der Hersteller und seine Vertragspartner scheinen in solchen Fällen noch helfen zu können. Da kann das Gefühl des Ausgeliefertseins aufkommen. So etwas trübt jedem Autofan die Freude an seinem Gerät.
Von ähnlicher Bedeutung ist die möglichst prompte Präsenz des notwendigen Fachpersonals und die Reparaturfreundlichkeit einer Gasturbine. Das tut der Zufriedenheit des Betreibers, der Betriebssicherheit der Gasturbine und den Betriebskosten „gut“.
Die Reparaturfreundlichkeit einer Gasturbine vor Ort hängt nicht zuletzt von den Konstruktionsprinzipien ab. Sie ist deshalb bereits bei der Beschaffung abschätzbar und damit ein wichtiges Auswahlkriterium (Kapitel 1.1). So lässt sich z.B. bei Gasturbinen mit längsgeteilten Gehäusen gegebenenfalls eine Halbschale abnehmen und der Zugang zur Beschaufelung von Verdichter und Turbine vergleichsweise einfach bewerkstelligen. Ein weiteres Beispiel ist der Aufwand für den Austausch einzelner Schaufeln in Verdichter oder Turbine.
Gasturbinen (besonders ältere Typen) mit mehreren Rohrbrennkammmern am Umfang lassen einen Austausch dieser Bauteile meist einfacher zu als Gasturbinen moderner Bauart mit Ringbrennkammern (Bild 2.6-6.2). Fein heraus dürfte der Betreiber einer Gasturbine mit einer einzelnen freistehenden Brennkammer ( "Bild 2.1-6.1" und "Bild 3.2.1-2") sein. Auch von großen Maschinen mit schrägen oder radialen “Brennkammerköpfen“ ist eine gute Zugänglichkeit zu erwarten. Gasturbinen, die von modernen Flugtriebwerken abstammen, können eine “Modulbauweise“ ( "Bild 4.2-4") aufweisen. Diese ermöglicht den Austausch kompletter Baugruppen wie Verdichter, Brennkammerbereich und Turbine. Der Vorteil ist eine optimale Überholung des Moduls im „Shop“ und ein schneller und vergleichsweise einfacher Austausch der gesamten Baugruppe.
Eine solche Bauweise hat jedoch auch ganz spezifische Probleme, die an den Fügestellen der Module auftreten. Dabei kann man z.B. gezwungen sein, neue Labyrinthspitzen mit entsprechend großem Durchmesser und gealterte Einlaufbeläge ( "Bild 4.2-3") mit schlechtem Einlaufverhalten zu kombinieren. So entsteht beim Anstreifen des Labyrinths eine kritische Situation (siehe "Bild 3.1.2.4-6" und Beispiel 4.2-4). Ein weiteres Problem kann bei beengten oder schlecht zugänglichen Montageverhältnissen an der Füge-stelle auftreten (Bild 4.2-6). Das gilt besonders wenn der Modul relativ schwer und/oder groß ist (Beispiel 4.2-6). Während des Montagevorgangs besteht dann die Gefahr unbemerkter Beschädigungen an Bauteilen wie Rollenlagern und Labyrinthen (Beispiel 4.2-4). Um dies zu vermeiden, schreibt der OEM geeignete Montagehilfen vor. Diese sind unbedingt zu verwenden.
Beispiel 4.2-1: Der Betreiber einer größeren Gasturbine stellt bei der Boroskopinspektion weit vor Erreichen der vorgesehenen Lebensdauer bedenkliche Anzeichen von Heißgaskorrosion an der Hochdruckturbinenbeschaufelung fest. Der hinzugezogene Hersteller empfiehlt einen Austausch der gesamten Beschaufelung gegen Neuteile. Ein unabhängiger Fachberater entnimmt ein typisches Bauteil und bestätigt innerhalb eines Tages, dass die Schädigung weit fortgeschritten und eine sinnvolle Reparatur nicht mehr möglich ist. Der Zustand der Beschaufelung ermöglicht jedoch offenbar bei gleichbleibender Schädigung noch eine Betriebszeit von 20 000 Stunden. Um für den Betreiber das nun bei ihm liegende Risiko akzeptabel zu machen, wurden regelmäßige Boroskopinspektionen in geeigneten Zeitabständen mit festgelegten Schadensgrenzen des äußeren Befunds empfohlen. Die spätere eingehendere Untersuchung der entnommenen Bauteile konnte den vorliegenden Schadensmechanismus klären. Daraus ergaben sich Empfehlungen für die zu einem späteren Zeitpunkt einzubauenden Neuteile. Der Betreiber folgte dieser Empfehlung unter den Zwängen der Verfügbarkeit der Maschine und der Kosteneinsparung. Die Richtigkeit dieser Entscheidung wurde durch den problemlosen Weiterbetrieb bis zur empfohlenen Zeitgrenze bestätigt. Der Hersteller berücksichtigte die Empfehlungen für die später einzubauenden Neuteile und ermöglichte für diese längere Bauteillebensdauern.
Aus diesem Beispiel ist viel zu lernen: Bei kostenintensiven Entscheidungen ist für den Betreiber die Empfehlung eines unabhängigen Fachmanns seines Vertrauens wichtig. Der Betreiber hat dann durchaus Entscheidungsspielräume.
Beispiel 4.2-2: Eine vom Hersteller empfohlene Nachrüstaktion an der Rückölpumpe eines bestimmten Maschinentyps wurde von diesem bei den Betreibern durchgeführt. Dabei war ein Antriebszahnrad der Pumpe mit dem Lagerungsflansch zu entfernen. Die Zugänglichkeit der Pumpe im unteren Bereich der Maschine ermöglichte es nicht, den nachfolgenden Zusammenbau genau zu beobachten. Dies musste mit dem Gefühl des Monteurs geschehen. Beim Aufsetzen des Deckels lag ein Zahn des sehr schmalen Antriebsrades auf der Stirnseite des Gegenrades auf. Er “schnappte“ erst durch Anziehen der Flanschschrauben ein. Dabei wurde die relativ dünne Antriebswelle der Pumpe plastisch verbogen. Nach längerem Betrieb der Maschine brach die geschädigte Pumpenwelle als Folge eines Ermüdungsbruchs mit gravierenden Folgeschäden. Nachdem dieser Schadensablauf durch eine systematische Schadensanalyse ermittelt worden war, ergab die Nachprüfung anderer Maschinen des gleichen Typs noch mehrere Parallelfälle. Hier war es noch nicht zum Wellenbruch gekommen. Auf diese Weise ließen sich hohe Schadenskosten vermeiden.
Beispiel 4.2-4: ( "Bild 4.2-3"): Bei einer Gasturbine mit Modulbauweise wird der Turbinenmodul abgezogen und getauscht. Die nunmehr engen Labyrinthspalte im Fügebereich der Module führten nach wenigen Betriebsstunden bei einem Hochfahren der Maschine zur Spaltüberbrückung mit heftigem Anstreifen. Ein Einlauf der gealterten Beläge heizte das Labyrinth extrem auf. Die Folge war das katastrophale Versagen des Labyrinths und der angrenzenden Baugruppen
Beispiel 4.2-5: Während der Montage eines Verdichterrotors fiel dem aufmerksamen Monteur auf, dass sich Schrauben ungewöhnlich verhielten. Im Gegensatz zu früher, erreichten sie erst nach ungewöhnlich vielen Umdrehungen gerade das Mindestanzugsmoment. Er meldete den Vorgang. Eine Überprüfung ergab, dass die verwendeten Schrauben aus einer falschen Lieferung stammten und eine deutlich zu niedrige Festigkeit aufwiesen. So konnten umfangreiche Rückmontagen mit hohem Zeit und Kostenaufwand vermieden werden, ganz abgesehen vom technischen Risiko.
Beispiel 4.2-6: ( "Bild 4.2-4"): Der Tausch eines Verdichtermoduls erforderte es, dass die Welle mit dem Lagerinnenring aus dem Rollenlager gezogen wurde. Die vom OEM vorgeschriebene Montagevorrichtung wurde aus Zeitgründen nicht verwendet. Der Einbauvorgang des neuen Moduls mit einem Kran war nicht ausreichend beobachtbar. Nach dem Zusammenbau war die visuelle Kontrolle des Lagers nicht mehr möglich (Bild 4.2-6). Eine Beschädigung des Lagerrings während der Montage blieb so unbemerkt. Nur wenige Stunden nach dem Wiederbetrieb der Maschine entstand ein großer Schaden im gesamten Lagerbereich. Die nachfolgende umfangreiche Schadensanalyse konnte eindeutig zeigen, dass nicht wie zunächst vermutet eine Fehlbedienung oder ein fehlerhaft gelieferter Modul die Schadensursache war. Stattdessen wurde eine “kleine“ Verletzung der Lagerlaufspur, die auf Grund ihrer charakteristischen Merkmale nur bei der Montage entstanden sein konnte, als Schadensursache identifiziert (siehe Kapitel 4.3.3).
"Bild 4.2-2": Dieser Schaden soll hier als typisches Montageproblem, das nicht zuletzt auf ungünstige „Human Factors“ zurückzuführen ist, beispielhaft stehen. Die Beschreibung entspricht Beispiel 4.2-2.
"Bild 4.2-3" (Beispiel 4.2-4): Ein typisches potenzielles Problem kann sich nach dem Wechsel eines alten gegen ein neues Modul ergeben. Es entsteht, wenn notwendigerweise Labyrinthkomponenten kombiniert werden müssen.
Bei der neuen Maschine sorgt das (noch) gute Einlaufverhalten der Dichtfläche für ein unproblematisches Einlaufen der Dichtstege (im Bild oben). Nach langen Betriebszeiten können die Einlaufschichten versprödet und hart sein. Trotzdem entsteht kein Schaden, weil keine Überbrückung des ausgeriebenen Dichtungsspalts mehr erfolgt. Ein neuer Dichtring mit entsprechend hohen Dichtstegen kann dagegen beim Einlaufen gegen die alte versprödete Dichtfläche einen selbstverstärkenden Schadensmechanismus ( "Bild 3.1.2.4-6") mit umfangreichen Folgeschäden auslösen.
"Bild 4.2-4": Triebwerke in Modulbauweise (Beispiel GE LM 5000) haben Vorteile bei Montage und Überholung. Zu beachten sind aber auch konzeptbedingte Besonderheiten der Maschinentypen. Die Füge- bzw. Trennstellen befinden sich häufig im Lagerbereich (Lit 4.2- 4). Rollenlager bieten sich als Trennstelle förmlich an. Die Welle wird mit dem Innenring des Rollenlagers abgezogen. In den Zonen “A“ und “B“ kann es sich um eine derartige Trennstelle handeln (nicht notwendigerweise beim hier dargestellten Maschinentyp). In den Fügebereichen der Module, insbesondere im Lagerbereich (Bild 4.2-6) und an Labyrinthen (Bild 4.2- 3) erfordert die Montage besondere Aufmerksamkeit. Labyrinthspitzen können während einer axialen Montagebewegung bei stärkerem Kontakt mit der Dichtfläche beschädigt werden. Besonders wenn ein neues Modul mit einem bereits länger gelaufenen Modul gefügt wird, können eventuelle Verzüge an den alten Teilen Probleme machen. In diesem Zusammenhang stellt "Bild 4.2-3" eine weitere Problematik dar. Sie betrifft das Betriebsverhalten einer Kombination alter und neuer Module.
"Bild 4.2-5" (Beispiel 4.2-6): Im Rahmen von Montagearbeiten bei Revision und Überholung tritt die Situation auf, dass Module im Bereich der Lagerung gefügt werden. Es kommt vor, dass die Fügestelle (Pfeil im Bild oben) nicht ausreichend eingesehen werden kann. Handelt es sich um schwer zu bewegende Massen, besteht die Gefahr, dass die Wälzkörper ankanten und der Innenring des Rollenlagers an der Trennstelle beschädigt (Pfeil Bild unten) wird. Eine solche Beschädigung kann zum Versagen der Lagerung führen. Dabei ist es möglich, dass das Lager nicht abfangbar schnell versagt oder ein Ermüdungsschaden nicht rechtzeitig am Späneanfall entdeckt wird. In diesen Fällen muss mit sehr umfangreichen Schäden gerechnet werden.