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1.1 Die Auswahl einer Gasturbine

Ein Autokauf steht an. Da stellt sich zuerst die Frage, was sollte es denn sein? Ein spartanischer Neuwagen oder ein gebrauchtes Luxusmodell? Erfordern die vorgesehenen Aufgaben einen Sportwagen, einen Geländewagen oder gar einen Traktor? Fühlen wir uns an eine bestimmte Marke gebunden? Soll man ein Schnäppchen nutzen, auch wenn es nicht genau zum Anforderungsprofil passt? Soll ich ein den technischen Daten nach attraktives Produkt kaufen, auch wenn die Marke als nicht so zuverlässig bekannt ist? Lohnen sich Mehrkosten, die mit neuen Technologien wie nichtmetallischen Bremsscheiben oder Abstandswarnanlagen begründet sind? Ist hier nicht im Gegenteil mit neuartigen Problemen oder Fehlfunktionen zu rechnen? Überhaupt, führt die ganze elektronische Überwachung nicht zu Ausfällen und Verunsicherung? Sind die Sonderausstattungen, zu denen mir geraten wird, ihr Geld wert? Und übrigens, was ist mit der Werkstatt, den Wartungskosten? Wie steht es mit den Ersatzteilen, deren Kosten und Verfügbarkeit? Und wenn wir uns trennen müssen, was ist mit einem Wiederverkauf? Je nachdem wie wir uns entscheiden, werden die späteren gemeinsamen Jahre mit unserem Auto erfreulich, stressig oder gar frustrierend sein. Natürlich bleibt selbst bei einer Beratung durch neutrale Fachleute, der Auswertung von Tests und der Pannenstatistik ein Restrisiko. Ganz ähnliche Fragen können sich bei der Auswahl einer Gasturbine stellen. Wir werden daher alle Quellen nutzen, um unser Risiko zu minimieren bzw. einen möglichst hohen Nutzwert zu erhalten.

Falls wir mehrere Gasturbinentypen eines oder verschiedener Hersteller zur Auswahl haben, ergibt sich die Frage nach der technisch richtigen Wahl. Es gilt neben den eigenen Anforderungen eine Vielzahl von Quellen und Informationen zu berücksichtigen bzw. zu werten. Im Folgenden werden einige davon genannt:

  • Zu erwartende betreiberspezifische Betriebsbedingungen ( "Bild 1.1-4") wie Start/Abstellzyklen, Leistungsabgabe, Schnellstarts, notwendige Verfügbarkeit und Stillstandszeiten.
  • Informationen von Referenzadressen und Betreibern des speziellen Gasturbinentyps.
  • Besuch des angebotenen Wartungs- und Überholbetriebs.
  • Fachgespräch mit dem Kundendienst des Herstellers.
  • Bewertung und Auswertung technischer Unterlagen wie Wartungsvorschriften, Betriebsanweisungen, Überholhandbuch, Fachliteratur, technische Zeichnungen und Herstellerangabe. Dabei ist die Wartungs- und Reparaturfreundlichkeit für den Betreiber von besonderem Interesse.
  • Standortbegehung zur Ermittlung potenzieller Probleme. Dazu gehören Luftverunreinigungen, potenzielle Staubbelastung, Rezirkulationsrisiko und Vereisungsgefahr (Bild 1.1- 2)
  • Eigenschaften vorhandener Fundamente und Tragstrukturen mit Tragfähigkeit, Schwingungen und Elastizitäten.
  • Vom Betreiber geforderte Sondernutzungen wie Schadstoffentsorgung, z.B. von Lösungsmitteln.
  • Besondere Umweltanforderungen, die z.B. Wasser- oder Dampfeinspritzung, Low-NOx-Brennkammern oder Abgasschalldämpfer notwendig machen (Bild 1.1- 2).

Der künftige Betreiber sollte möglichst einen Fachmann hinzuziehen, wenn im Vorfeld der Beschaffung betriebsspezifische Fragen (z.B. mit dem Hersteller oder dem Reparaturshop) zu klären sind. Hier einige Beispiele für derartige Fragen:

  • Weist die Maschine lebensdauerbestimmende Komponenten auf (Kapitel 5.3)? Falls ja, was sind die zugehörigen Schadensmechanismen? Typische Teile sind zyklenbegrenzte Rotorkomponenten oder besonders kriechbeanspruchte Hochdruckturbinenschaufeln.
  • Welche zeitabhängigen Veränderungen des Betriebsverhaltens ( "Bild 1.1-3"), z.B. zu erwartender Wirkungsgradabfall (Deterioration) sind zu erwarten ( "Bild 2.5-2")? Welche Temperaturerhöhungen in den Heißteilen hat dies zur Folge (Kapitel 5.1.1.1)?
  • Welche Komponenten tragen wie zum Wirkungsgradabfall (engl. deterioration) bei (Kapitel 5.1.1)? Wie wirken sich typische Effekte wie Erosion von Einlaufschichten in Gehäusen, Abrieb an Labyrinthdichtungen, Rauigkeitszunahme der Beschaufelung in Turbine und Verdichter aus?
  • Gibt es besondere Schwachstellen oder Empfindlichkeiten bei Betrieb, Wartung und Hardware? Wie sind neue, angewendete Technologien zu bewerten (Kapitel 5.2.1)?
  • Entsprechen die zu erwartenden Hardwareeigenschaften den betriebsspezifischen Besonderheiten? Dazu gehören Korrosionsbelastung, Erosion, häufige Start-Abstell-Zyklen ( "Bild 1.1-4") oder eventuell notwendige Schnellstarts?
  • Lässt sich ein Lebensdauerbonus bei günstigeren Betriebsbedingungen erreichen?
  • Sind besondere Überwachungen zu empfehlen (Kapitel 5.1.1.1)? Was ist mit einer Vibrationsüberwachung, regelmäßigen Ölanalysen, Auswertung der Filterrückstände und Ablagerungen an Magnet- stopfen (Kapitel 3.5)? Welche Konsequenzen haben welche Befunde?
  • Ist eine „Reparaturfreundlichkeit“ ( "Bild 1.1-5", "Bild 1.1-6" und "Bild 4.3.1-1") im Shop und vor Ort zu erwarten? Dies ist nicht selbstverständlich, wenn mit Neuteilen eine Gewinnmaximierung möglich ist (Kapitel 4).
  • Entspricht der Reparaturshop den Vorstellungen des Betreibers (Kapitel 4)?
  • Besteht eine Auswahl geeigneter Peripherie wie Ansaugfilter (Prinzip, Materialien, Kapitel 3.7.1)?

Es ist einleuchtend, dass Zusagen und Zugeständnisse des OEM vor einer erkennbaren Entscheidung zur Beschaffung einer Gasturbine vom Betreiber leichter zu erreichen sind, als nachher. Hierzu gehört die rechtzeitige Bereitstellung technischer Unterlagen, das Verhalten im Schadensfall/Kulanz wie der Zugriff auf Schadenteile (Seite 0-4 und 0-5).

de/1/11/11.txt · Zuletzt geändert: 2023/08/16 10:03 von ittm_indgasturbde