Inhaltsverzeichnis
3.1.2.1 Mechanische Probleme
Verdichterschaufeln
Die Komponenten des Verdichters ( "Bild 3.1.2.1-1a2a3a4") weisen entsprechend ihren Betriebsbedingungen Problemzonen auf. Besonders interessante Komponenten sind die Verdichterrotorschaufeln. Sie unterliegen hohen mechanischen Beanspruchungen durch Fliehkraft, Gasbiegung, Anstreifkräfte sowie hochfrequenten aerodynamischen und mechanischen Anregungen. Die Beeinflussung durch Luftstromverunreinigungen und Fremdkörper wird im Kapitel 3.1.2.2 behandelt.
Rissbildung in Verdichterschaufeln ist in erster Linie auf Schwingermüdung zurückzuführen. Gewöhnlich handelt es sich um Schwingbelastungen, die erst nach hunderttausenden von Lastwechseln zum Anriss und Bruch führen. In diesem Fall spricht man von einer Beanspruchung im HCF-Bereich (siehe "Bild 3.1.2.1-0"). Diese Belastung liegt nicht weit über der Dauerfestigkeit, der Spannung die der Werkstoff beliebig oft erträgt. Der Bereich höherer Beanspruchungen mit merklicher plastischer Verformung wird als LCF-Bereich bezeichnet. Er tritt eher in Rotorscheiben bei Start/Abstellzyklen mit entsprechend niedriger Frequenz auf (Bilder 3.1.2.1-5 bis 3.1.2.1-8). Verdichterschaufeln sind durch hochfrequente Schwingungsanregungen ermüdungsgefährdet (Bild 3.1.2.1- 4). Dabei geht es nicht nur um Resonanzschwingungen in der Grundbiegung (Ermüdungsrisse in der Nähe des Blattübergangs zur Fußplattform), sondern auch um Schwingformen höherer Ordnung. Typisch sind sogenannte “Lyra mode“ -Schwingungen im Blattspitzenbereich oder Torsionsschwingungen im Hinterkantenbereich beidseitig eingespannter Leitschaufeln. Solche Schäden werden von dünnen Profilen mit großer Sehnenlänge (engl. wide chord), wie sie in modernen Verdichtern zu finden sind, begünstigt. Auch gibt es sogenannte selbsterregende Schwingungen (“Flattern“), die zum sofortigen Schaufelbruch führen. Im Rahmen der Entwicklung einer Maschine wird der Nachweis erbracht, dass zumindest für den normalen Betrieb und die versuchstechnisch abgedeckten Drehzahlen und Laufzeiten die dynamischen Beanspruchungen unterhalb der Dauerfestigkeit liegen. Ein wichtiges Hilfsmittel zur Erkennung von Resonanzgefahren ist bei der Auslegung das “Campbell-Diagramm“ ( "Bild 3.1.2.1-9"). In diesem Diagramm läßt sich eine bedenkliche Überschneidung von Eigenfrequenzen mit Anregungsfrequenzen, abhängig von den Schaufelzahlen und Drehzahlen, ermitteln. Anders liegt natürlich der Fall bei Fremdkörpereinschlägen oder Riefen und Kerben durch Unachtsamkeit beim Hantieren. Solche Beschädigungen können beim Transport oder der Montage auftreten. Außerhalb der vom OEM in Handbüchern bzw. Vorschriften festgelegten zulässigen Grenzen führt das zur Spannungskonzentration und einem bedenklichen örtlichen Schwingspannungsniveau. Ist die Schwingfestigkeit auf andere Weise in gefährlichem Maß örtlich herabgesetzt, besteht ebenfalls Ermüdungsgefahr. Eine solche Situation entsteht durch hohe Zugeigenspannungen (Fertigung), Gefügeveränderungen (z.B. unterhalb abgearbeiteter Schweißspritzer) oder an nicht sachgerecht ausgeführten Reparaturen (z.B. Überhitzung beim spanenden Ausblenden von Kerben).
Schwingungsanregungen können häufiger und/oder stärker als “erwartet“ auftreten. Denkbar ist z.B., dass eine Komponente (z.B. eine Rotorschaufel einer bestimmten Stufe) betreiberspezifisch beim Hochfahren immer wieder kurzfristig durch Resonanzdrehzahlen gefahren wird. Damit wird eine ausreichende Zahl gefährlich hoher Schwingzyklen akkumuliert. Pumpen ( "Bild 3.1.1-6") oder ein besonders intensiver Anstreifvorgang ( "Bild 3.1.2.4-3") ist in der Lage, hochfrequent eine Ermüdungsschädigung oder einen Anriss auszulösen. Diese Schädigung führt später, bereits unter normalen Belastungen, zum Bruch des Bauteils. Wird die Schaufel beim Anstreifen an der Spitze in unzulässiger Weise geschädigt, ist besonders bei Schaufeln mit langer Sehne und dünnem Profil mit radialen Ermüdungsrissen und Eckenausbrüchen zu rechnen (engl. lyra mode, "Bild 3.1.2.1-5a6a7a8"). Wird die aerodynamisch wirksame Geometrie oder die Oberfläche der Schaufel von Erosion, Fremdkörpern und Ablagerungen zu stark verändert, unterstützt dies einen schwingungsanregenden Strömungsabriss (rotating stall, "Bild 3.1.1-5").
Eine weitere Problemzone ist der Schaufelfuß. In Maschinen der schweren Bauart (engl. heavy frame) findet man sog „Hammerkopf-Schaufelfüße“. Die übliche Fußform im Verdichter von Derivaten ist der Schwalbenschwanz. Im Bereich der Kontaktflächen zur Scheibe ( "Bild 3.1.2.1-5a6a7a8") erfolgen niedrigfrequente Mikrobewegungen bei der Aufweitung der Scheibe unter Fliehkraft und Temperatur (niedrigfrequent entsprechend den Startzyklen) und hochfrequente Mikrobewegungen beim Schwingen der Schaufel. Es entsteht das sogenannte “Fretting“ (Verschleiß, Reiboxidation), eine örtliche Schädigung bis hin zur Mikrorissbildung der mechanisch hoch beanspruchten Kontakt-/Auflageflächen ( "Bild 3.1.2.1-10"). Stähle und Nickellegierungen sind von diesem Schadensmechanismus weniger betroffen als Titanlegierungen. Sie kommen in der Beschaufelung moderner Verdichter von Triebwerken und damit wohl auch in entsprechenden Derivaten zur Anwendung. Hier muss mit einem Schwingfestigkeitsabfall bis auf 30% des ungeschädigten Werkstoffes gerechnet werden. Dies bedeutet eine extreme Verringerung der ertragbaren Lastwechselzahl bei einer vorgegebenen dynamischen Beanspruchung. Die einzige in Serie angewandte Abhilfe ist das Kugelstrahlen mit ausreichender Intensität und eine zusätzliche Gleitbeschichtung. Dies muss nicht nur beim Neuteil, sondern auch bei den Überholungen erfolgen, um den Kugelstrahl-Effekt, der durch Kriechen oder Fretting abgebaut wurde, wieder “aufzufrischen“. Mit Kugelstrahlen erhält man einen vorteilhaften Druckeigenspannungszustand im Oberflächenbereich sowie eine Verfestigung. Diese Effekte sind je nach Werkstoff von unterschiedlich großem Einfluss. Ein weiterer positiver Effekt ist die besondere Kalottenstruktur der Strahlfläche, die Mikroseservoire für Gleitlacke bilden und Abrieb aufnehmen können. Es gibt zusätzlich Hinweise, dass eine Mikrogeometrie, bei der nur Spitzen anliegen (kleinere belastete Volumen, Kontaktzonen “entkoppelt“), weniger ermüdungsgefährdet ist. Häufig entstehen die Risse jedoch nicht direkt in der Frettingzone, sondern dicht darüber im unbeeinflussten Gebiet. Dies erklärt sich aus der sog. Anstrengung, einer aus Schub und Biegung kombinierten Beanspruchung der Oberflächenzone. Die Schubkräfte sind Folge der Reibung angrenzender Auflageflächen. Liegt diese Zone am Übergangsradius zum Schaufelschaft, erhöht die Formkerbe das Schadensrisiko. Der Einfluss des Reibbeiwerts in der Kontaktzone auf die Beanspruchungshöhe ist auch Erklärung für die zusätzliche Anwendung und Wirksamkeit von Gleitlacken und Gleitbeschichtungen. Im relativ heißen hinteren Verdichterbereich altern viele Beschichtungen über längere Betriebszeiten. Sie werden dabei von Oxidation und Zersetzung geschädigt und verlieren mit der Zeit ihre Wirksamkeit.
Verdichterscheiben
Verdichterscheiben sind den Fliehkräften und, in geringerem Maße, auch thermischen Spannungen ausgesetzt. Damit sind sie im LCF-Bereich ermüdungsbeansprucht ( "Bild 3.1.2.1-5a6a7a8"). Weil sich die Temperatur im Verdichter von der Umgebungstemperatur am Eintritt bis zu 600 °C am Austritt (abhängig vom Gesamtdruckverhältnis) ändert, werden Scheiben- und Schaufelwerkstoffe entsprechend ausgewählt. Bei älteren Maschinentypen verwendet man bis in den hinteren Bereich Stähle, häufig vom Typ 13%- Cr-Stahl. Zum Verdichterende findet man nicht selten warmfestere Fe-Legierungen oder Ni-Basis Werkstoffe. Derivate nutzen im vorderen Bereich Stähle oder Ti-Legierungen, im Austrittsbereich Ni-Legierungen und im Übergangsbereich besondere Stähle mit niedrigem Ausdehnungskoeffizienten zum Ausgleich der Wärmedehnungsunterschiede. Da solche Stähle meist nicht ausreichend korrosionsbeständig sind (Lochfraß= Pittingkorrosion), werden sie sehr effektiv mit Al-gefüllten anorganischen Lacken beschichtet. Ein Problem gibt es lediglich an Zentrierbunden (Passungen, "Bild 3.1.2.1-1a2a3a4") und Schraubenbohrungen, wenn diese aus Toleranzgründen nicht lackiert werden können. Gerade Schraubenbohrungen sind Kerbstellen mit entsprechend hohem Spannungsniveau und deshalb nicht selten LCF-lebensdauerbegrenzte Bereiche des Bauteils. Sie bestimmen damit auch die Überholungsintervalle. Der Hersteller muss also Sorge tragen, dass in diesen ungeschützten Bohrungen keine Korrosionskerben entstehen. Der Einsatz galvanischer Schichten oder anderer Schutzbeläge erfordert genaue Kenntnis der Auswirkung auf die Schwingfestigkeit. Die Schaufelaufnahmenuten der Scheibe ( "Bild 3.1.2.1-5a6a7a8") sind ähnlich belastet wie die darin fixierten Schaufelfüße. Für beide gelten ähnliche Folgerungen.
LCF und HCF
Vorbemerkung: Die Kenntnis der bauteilspezifischen Rissarten und ihrer Lage ist sowohl für das Prüfpersonal im Shop oder beim Hersteller als auch, soweit es die Beschaufelung betrifft, für die Boroskopbefundung vor Ort ( "Bild 4.1-4", "Bild 4.1-5" und "Bild 4.1-6") von besonderer Wichtigkeit. Risse in Scheiben sind extrem selten. Die Auswirkungen wären jedoch deutlich gravierender als bei einem Schaufelbruch. Deshalb muss ein Scheibenbruch auf jeden Fall vermieden werden. Bei der konstruktiven Auslegung einer Scheibe werden besonders hohe Sicherheitsanforderungen berücksichtigt ( "Bild 3.1.2.1-5a6a7a8"). Zusätzlich ist eine Rissprüfung bei jeder Überholung unerlässlich. Die den Risslagen in den Bildern 3.1.2.1-5 bis -8 zugeordneten Nummern entsprechen jeweils einer bestimmten vorherrschenden Belastungsart.
"Bild 3.1.2.1-0": Der Unterschied zwischen LCF (Kurzzeitermüdung, engl. low cycle fatigue) und HCF (engl. high cycle fatigue) lässt sich gut im Wöhlerdiagramm (Diagramm oben) erklären. Dieses kennt Werkstoffe deren Wöhlerkurve ab ca. 107 Lastwechsel horizontal verläuft, also eine Dauerfestigkeit aufweisen (z.B. Stähle) unter der kein Bruch zu ewarten ist. Al-Legierungen und Titanlegierungen haben keine Dauerfestigkeit , hier fällt die Wöhlerkurve weiter ab. Dies wird in der Auslegung berücksichtigt. Belastungen im Bereich der Zeitfestigkeit liegen oberhalb der Dauerfestigkeit. Nach einer belastungsabhängigen Zeit kommt es zum Schwingbruch. Die Aufteilung des Wöhlerdiagramms erfolgt also belastungsorientiert. Im angelsächsischen Raum führt man dagegen eine Aufteilung in Abhängigkeit von der zu erwartenden Lebensdauer ein. Dynamische Beanspruchungen, die zu einer „merklichen plastischen Verformung“ im Anrissbereich führen, liegen definitionsgemäß im LCF-Bereich. Dieser ist zwischen 104 und 105 Anrisslastwechseln zu finden. Interessant ist die „schwammige Definition“ der Verformungsamplitude, was einer relativ breiten Grauzone des Lebensdauerbereichs entspricht. Auch ist oft auf den ersten Blick nicht erkennbar, wie es zu derartigen Verformungen kommt. Zeigen doch in ihrer zyklischen Lebensdauer begrenzte Bauteile (z.B. Rotorscheiben) keine messbare Aufweitung unter normalen Betriebsbelastungen.
Die Definition der LCF-Beanspruchung passt auch für Thermoermüdung (TF, TMF, Bild 3.3- 16). Hier führen behinderte Wärmedehnungen als Folge von Temperaturänderungen zu zyklischen plastischen Verformungen.
Die untere Skizze macht an einer Situation aus dem Alltagsleben den Schadensmechanismus einer (extremen) LCF-Beanspruchung verständlich.Will man mit der Hand einen Draht trennen, muss dieser öfters plastisch gebogen werden. Der Draht erleidet so einen LCFBruch. Natürlich ist die Zahl der Lastwechsel in Gasturbinen deutlich höher, der Mechanismus jedoch vergleichbar
Bei einem Stahldraht lässt sich ein Anstieg der Biegekraft registrieren, der Werkstoff verfestigt sich. Nach einigen Lastwechseln wird der Draht brechen. Die Erwärmung bei diesem Vorgang ist für die Erklärung nicht von Bedeutung und entspricht der zur Plastifizierung eingebrachten Biegearbeit. Vielleicht haben wir noch registriert, dass z.B. ein rostiger Draht (mit Korrosionskerben) weniger Lastwechsel bis zum Bruch benötigt, als ein blanker. Kerben und Fehlstellen senken also die LCF-Festigkeit bzw. verkürzen die LCF-Lebensdauer. Sie sind in derartig beanspruchten Bauteilzonen unbedingt zu vermeiden.
HCF-Brüche (Dauerbrüche) zeigen dagegen keine Anzeichen plastischer Verformung. Brüche wirken auch mikroskopisch in duktilen (zähen) Werkstoffen spröd.
Wie in Skizze unten links dargestellt, beschränken sich LCF-beanspruchte Bereiche (hier einer Rotorscheibe) auf kleine Volumina in Zonen, die eine Spannungserhöhung infolge Kerbwirkung erfahren. Hierzu gehören Radien zwischen Querschnittssprüngen, Bohrungen für Verbindungsbolzen und die Nabenbohrung. Diese Zonen erfahren unter Fliehkraft- und Wärmespannungen hohe Spannungen, die bei heute in Flugtriebwerken und deren Derivaten üblichen Belastungen immer plastische Dehnungen zur Folge haben. Nach einer Entlastung bauen sich zwischen den plastisch verformten Bereichen und den lediglich elastischen, deutlich größeren benachbarten Zonen, Eigenspannungen auf. Die stehen bei Stillstand im Gleichgewicht. Deshalb kann sich die örtliche plastische Verformung in äußerlichen Maßänderungen (z.B. des Scheiben-Außendurchmessers) kaum bemerkbar machen.
Abschließend sei noch Folgendes klargestellt, um ein häufiges Missverständnis auszuräumen: Der Buchstabe „F“ in den Begriffen HCF und LCF steht für „fatigue“=Ermüdung und nicht für Frequenz. Obwohl meist die große Zahl der Bruchlastwechsel und die vergleichsweise moderate Spannungsamplitude bei HCF-Brüchen mit hochfrequenten Schwingungen in Zusammenhang steht, ist es durchaus denkbar, dass sich HCF-Brüche auch bei“LCF-typischen“ niedrigen Frequenzen (z.B. Start/Abstellzyklen) akkumulieren. Beispiel wäre eine SpitzenlastGasturbine mit „zig“ Jahren Betriebszeit, die täglich wenige Male gestartet wird.
Umgekehrt können aber auch LCF-Brüche von hochfrequenten Schwingungen mit extremen Amplituden ausgelöst werden. Solche hohen Belastungen können bei Flatterschwingungen oder als Folgeschäden auftreten. Das ist z.B. beim Überlaufen eines abgebrochenen Schaufelblattes, das im Gehäuse anliegt, der Fall.
"Bild 3.1.2.1-1a2a3a4": Bei Kleingasturbinen bestehen nicht selten auch die Verdichter aus integralen Rädern. Diese Bladed Disks, kurz “Blisks“ gehören zu einer Gasturbine kleiner Leistung, des Derivats eines Hubschraubertriebwerks mit wenigen 100 kW. Die einzelnen Räder sind aus Cr-Stahl nach dem Feingussverfahren. Hier wird im Kranzbereich zentriert. In Entwicklung und Einführung größerer Flugtriebwerke befinden sich spanend oder elektrochemisch hergestellte Verdichterrotoren in Blisk-Bauweise. Sie werden wohl in Zukunft auch in Derivaten zu finden sein.
Bild 3.1.2.1-2: Verdichterscheiben größerer Maschinen haben bis heute gewöhnlich axiale Schwalbenschwanznuten im Kranz zur Aufnahme der Schaufeln. Die Scheibe (-Membrane) hat üblicherweise Zentrierbunde für die benachbarten Scheiben bzw. Zwischenringe (Spacer, siehe "Bild 3.1.2.4-1"). Die Verbindung im Rotorverband erfolgt hier über zentrierende Schrauben oder Zuganker durch die Scheibe. Man findet darüber hinaus im Außenbereich verschweißte oder über Flansche verschraubte Rotoren. Auch hier ist die hochbeanspruchte Nabe aufgedickt, um das Beanspruchungsniveau abzusenken. Dies umso mehr, je größer die Nabenbohrung ausgeführt wurde .
Bild 3.1.2.1-3: Gasturbinen kleiner Leistung bis ca. 1000 kW weisen häufig ein- oder zweistufige Radialverdichter auf oder haben hinter einem Axialverdichter einen Radialverdichter als Endstufe. Die Radscheibe trägt neben den integralen Schaufeln meist ein Labyrinth zur Abdichtung der Verdichteraustrittsluft und einen Wuchtbund für die spanende Wuchtentnahme. Sie geht dann in eine breite Nabe über. Nicht selten findet man dort einen verstärkenden Bund und im Nabeninneren eine festigkeitsoptimierte Kontur. Eine Besonderheit sind zweiteilige Räder aus einem Vorsatzläufer und einer Radscheibe. Ein Ring im Eintrittsbereich über den Schaufelspitzen (Pfeil) dürfte in erster Linie gegen Schaufelschwingungen versteifen, könnte aber auch Dichtfunktion haben.
Bild 3.1.2.1-4: Verdichterrotorschaufeln weisen keine Deckbänder auf. Ihre Schaufelspitzen sind ein Element der Spitzenspaltdichtung. Nicht selten ist eine Optimierung des Spitzenspalts durch Anstreifen vorgesehen. Um dabei die Schädigung ( "Bild 3.1.2.1-5a6a7a8") möglichst gering zu halten, ist das Blattprofil an der Spitze verdünnt (“Squealer Tip”). Spitzenpanzerungen, die härtere Anlaufbeläge im Gehäuse ermöglichen, sind in der Entwicklung. Das zur Axialrichtung schräg stehende Blatt benötigt eine Plattform für den Übergang zum Fuß und die Gasführung. Die Anlageflächen der Fußplattform können die Schaufel dämpfen, um Schwingungen zu vermeiden, sie abstützen und Abdichtungsfunktionen übernehmen. Der Schaft überträgt die Kräfte aus der breiten Fußplattform in den besonders belasteten Schwalbenschwanzfuß ( "Bild 3.1.2.1-5a6a7a8"). Die Auflageflächen des Fußes tragen gewöhnlich einen Gleitbelag zur Reduzierung der Belastung aus den Reibungskräften und sind zur Anhebung der Schwingfestigkeit verfestigt (kugelgestrahlt).
"Bild 3.1.2.1-5a6a7a8": Verdichterläufer aus integralen Rädern (Blisks, links oben), wie er in Kleingasturbinen zu finden ist: (1) Risse durch Anstreifen und/oder „Lyra-Schwingungen“,(2) Risse im HCF-Bereich durch Schaufelschwingungen in der Grundbiegung. (6) LCF-Ermüdung im hochbelasteten Nabenbereich infolge Fliehkraftänderungen, insbesondere beim Start-/Abstellzyklus.
Bild 3.1.2.1-6: Typische Scheibe eines Axialverdichters (oben rechts) : (1) Ermüdungsrisse in den Schwalbenschwanznuten durch Schaufelschwingungen im HCF-Bereich. (2)Anrisse im LCF-Bereich als Folge von Fliehkraftänderungen. Anrisse in den Auflageflächen der Schaufeln und Scheibennuten sind nicht selten in Kombination mit einer “Frettingschädigung” ( "Bild 3.1.2.1-10") zu sehen. In den Verschraubungsbohrungen findet man Rissbildung durch Fliehkraftänderungen im LCF Bereich. Bei Stählen oft in Kombination mit Korrosionsgrübchen. (3) Risse im Labyrinth als Folge einer Anstreifschädigung.(4) LCF- Risse im Nabenbereich durch Fliehkraft- und, in deutlich geringerem Maß als bei einer Turbinenscheibe ( "Bild 3.3-18"), durch zyklische Wärmespannungen (Thermoermüdung). Anrissbereich ist meist eine Werkstoff - oder Fertigungsschwachstelle.
Bild 3.1.2.1-7: Radialverdichterräder (links unten) sind ebenfalls hochbeanspruchte Bauteile: (1) Rissbildung als Folge von Schaufelund/oder Scheibenschwingungen im HCF-Bereich, (2) Ermüdungsrisse durch LCF bei Start- und Abstellvorgängen, kann durch Scheibenschwingungen unterstützt werden. (3) Rissbildung beim Anstreifen mit Thermospannungen und Überhitzungsschädigung (Bild 3.1.2.4-7). Von hier ist ein Rissfortschritt im Nabenbereich unter Fliehkraftänderungen möglich. An den Schaufelspitzen durch Schwingungen. (4) Rissbildung durch heftiges Anstreifen der Schaufel mit Überlastung der Schaufelwurzel. (5) Zyklische Ermüdung durch Aufbiegung der Radscheibe und Biegeüberlastung der Vorsatzläuferschaufel.
Bild 3.1.2.1-8: Verdichterrotorschaufel: (1) Ermüdungsrissbildung bei Schaufelschwingungen, (2) Rissbildung im Auflagebereich durch Drehzahländerungen.(3) Rissbildung durch Anstreifen,(4) Rissbildung durch Schaufelschwingungen, meist im Zusammenhang mit Frettingverschleiß ( "Bild 3.1.2.1-10").
"Bild 3.1.2.1-9": Das sogenannte “CampbellDiagramm“ ermöglicht bereits in der Auslegungsphase, aber auch bei der Ursachenermittlung im Schadensfall mögliche Resonanzen zu erkennen und die Quellen der Schwinganregung zu identifizieren. Bei diesem Diagramm ist auf der Abszisse die Rotorfrequenz (Hz), entsprechend den Umdrehungen in einer Sekunde, aufgetragen. Die Ordinate enthält die Eigenfrequenzen der schwingenden Komponente und der Schwingungsanregung. Für jede lässt sich in diesem Diagramm eine Gerade entsprechend der (Strömungs-) Störungen am Umfang einzeichnen. Die Kurve der Eigenfrequenz (keine horizontale Gerade, weil Effekte wie die Fliehkraft- und die Temperaturabhängigkeit des E-Moduls bzw. der Steifigkeit eingehen) schneidet diese Geraden in möglichen Resonanzpunkten bei Betriebsdrehzahl (hier einem einzigen, siehe Pfeil). Typische Störungen im Gasstrom sind Streben, Leitschaufeln und Luftentnahmen (Abblasöffnungen). Im Entwicklungsstadium wird die Eigenfrequenz der Komponenten berechnet und geeignet ausgelegt. Zur Klärung von Schadensfällen dient üblicherweise die experimentelle Schwingungsanalyse (z.B. Modalanalyse). Dabei ist diejenige Schwingungsform (Mode) die wahrscheinlichste, bei der im Anrissbereich die höchsten Beanspruchungen zu erwarten sind. Dieser liegt dort, wo die höchsten Oberflächendehnungen (kleinster Krümmungsradius zwischen den Knotenlinien) auftreten. Messtechnisch lässt sich diese Zone mit Dehnungsmessstreifen (DMS) nachweisen bzw. bestätigen. Der Einfluss des Betriebs auf die tatsächliche Höhe der entstehenden Belastung wird dann aus Erfahrungswerten abgeschätzt. Natürlich wird man versuchen, die Resonanzmöglichkeiten für wichtige Komponenten konstruktiv außerhalb des Betriebsdrehzahlbereichs des Rotors zu legen. Bei der Drehzahländerung von Start bis Vollast und einer Fülle strömungsbeeinflussender Komponenten treten eine Vielzahl schwingungserregender Frequenzen auf. Diese machen eine Vermeidung aller potenziellen Resonanzen unmöglich. Klarheit kann deshalb letztendlich nur Erprobung und/oder Betrieb schaffen. Es gilt also: “The engine will tell us“, wie man im Englischen so schön sagt. Wenn sich die Betriebsbedingungen gegenüber Erprobung/ Nachweis verändern, gilt deren Aussage nur noch eingeschränkt. Das kann dann die Maschine mit einem Schaden ‘melden’.
"Bild 3.1.2.1-10": Eine typische Schwachstelle der Rotorschaufeln eines Verdichters sind Auflagezonen oder Nachbarbereiche des Schwalbenschwanzfußes. Hochfrequente Schaufelschwingungen (“A“) und/oder niederfrequente Dehnungen unter Fliehkraftänderungen (“B“) können in diesem Bereich Mikrobewegungen mit typischen Verschleißspuren erzeugen, den sog. “Frettingverschleiß“ (Schwingreibverschleiß, Reibkorrosion usw.). Diese Verschleißform ist wegen der Schwächung des Schaufelmaterials besonders gefährlich. Sie begünstigt Schwingermüdung mit Rissbildung (schwarze Pfeile). Auch die scheinbar nicht direkt betroffenen Nachbarzonen der Auflageflächen werden zusätzlich belastet. Im Vergleich mit Schaufeln aus Stählen, ist die Schädigung von Titanlegierungen durch Fretting besonders ausgeprägt. Schaufelfüße werden deshalb mechanisch behandelt und/oder mit Schichten versehen. Damit lässt sich eine Schädigung für die vorgesehenen Betriebszeiten in zulässigen Grenzen halten.
Die typische mechanische Behandlung ist eine Verfestigung der Kontaktzone durch plastische Verformung. Durchgesetzt hat sich das sog. Kugelstrahlverfahren (engl. shot peening). Hier trifft ein Strahl kleiner Stahlkugeln aus einer Düse auf die zu behandelnde Oberfläche. Diese Behandlung erfolgt mit hoher Kugelgeschwindigkeit unter vorgegebenem Druck und Winkel in einer genau festgelegten Zeit. So entstehen mikroraue Flächen, die meist zusätzlich mit einem Gleitlacksystem behandelt werden. Das senkt den für die Belastung der Nachbarzonen durch die sog. Anstrengung (Überlagerung von Zug aus Biegung und Schub) mitverantwortlichen Reibbeiwert. Verschleißfeste und plastisch anformungsfähige Schichten (z.B. Bronzen) mit niedrigem Reibbeiwert, auch in Kombination mit einer Strahlverfestigung, kommen in modernen Maschinen vermehrt zum Einsatz. Sie sollen höhere Temperaturen und Belastungen ermöglichen.
Da trotz aller Maßnahmen bei langen Betriebszeiten mit einer Schädigung der Kontaktzone gerechnet werden muss, ist es üblich bei Überholungen die Behandlung der Schaufelfüße ganz oder teilweise zu wiederholen bzw. aufzufrischen.
Treten ungewöhnliche Frettingerscheinungen auf, die auf besondere Betriebsbedingungen hinweisen, kann der Fachmann die makroskopischen und mikroskopischen Verschleißbilder auswerten und gegebenenfalls wichtige Hinweise zur Abstellung geben. Ein Merkmal für die Schädigungsintensität ist die Länge und Orientierung der Verschleißspuren (a) im Mikrobereich (Detail unten links).
Aussagefähig sind auch Lage und Richtung einer Rissbildung (Detail oben links).
Literatur zu Kapitel 3.1.2.1
3.1.2.1-1 A.Rossmann, „Die Sicherheit von Turbo-Flugtriebwerken“, Band 3, ISBN 3-00-017733-7 , 2003, Axel Rossmann Turboconsult, Bachweg 4, 85757 Karlsfeld.