Inhaltsverzeichnis
2.3 Der stationäre Betrieb
Eine zügige Fahrt auf der Autobahn, ohne Staus und mit moderater, gleichbleibender Geschwindigkeit erfreut den Fahrer. Entspanntes Fahren und niedriger Kraftstoffverbrauch, im Vergleich zum Start-Stop-Betrieb in der Stadt. Das merkt man besonders an den niedrigen Kosten an der Tankstelle. Aber auch die Technik wird geschont und trägt so zur Kostenminimierung bei. Der Verschleiß an Motor, Bremsen Reifen und Kupplung ist bezogen auf die zurückgelegte Wegstrecke vergleichsweise gering. Ein typisches Beispiel ist die hohe schadensfreie Laufleistung von PKWs die im Außendienst genutzt werden. Auch die Umwelt profitiert, weil sich der Schadstoffausstoß gegenüber Start und hoher Leistungsabgabe bei optimalem Motorbetrieb in Grenzen hält. Durchaus Vergleichbares gilt für den Betrieb einer Gasturbine.
Die Forderungen zur Begrenzung der Stickoxidemissionen (Low NOx) werden immer strenger. Diesem Trend tragen die gasbetriebenen, modernen Brennkammerkonstruktionen, ohne Wasseroder Dampfzumischung, Rechnung. Meist wird die Vormischung eines hohen Luftanteils genutzt (Dry Low NOx-Verfahren). Gerade beim stationären Betrieb lässt sich vom Kraftstoff Gas profitieren (Kapitel 2.6). Das liegt nicht zuletzt an dessen Reinheit (niedriger Schwefelanteil). Ein Vorteil von vergleichsweise reinem Erdgas ist der statistisch belegte, geringere Überholaufwand ( "Bild 2.3-1"). Dieser lässt sich mit der geringeren Abstrahlung einer nicht rußenden Flamme und den geringen Verunreinigungen im Brenngas erklären. Die niedrigere Strahlungsenergie führt zu niedrigeren Bauteiltemperaturen. Weniger Schwefel vermindert die Gefahr einer Hochtemperaturkorrosion (engl. Sulfidation) der Heißteile ( "Bild 3.4-2" und "Bild 3.4-3"). Trotz all dieser Vorteile bleiben natürlich Risiken, die von der Art des Kraftstoffs unabhängig sind. Dazu wird im Folgenden eine Übersicht gegeben.
Der vorherrschende Schadensmechanismus im stationären Betrieb ist Kriechen des Werkstoffes ( "Bild 2.3-1"). Hierbei spielt das Temperaturniveau die entscheidende Rolle ( "Bild 2.3-2").
Der stationäre Betrieb zeichnet sich dadurch aus, dass keine bedeutsamen Änderungen des Betriebszustandes erfolgen. Die Komponenten der Gasturbine haben in ihren thermisch bedingten Belastungen einen langzeitigen Gleichgewichtszustand (Temperaturverteilung) erreicht. Daraus leitet sich, trotz der Leistungsabgabe, für viele Komponenten (z.B. Rotorscheiben) relativ zum instationären Betrieb eine niedrige mechanische Belastung ab. Der Lebensdauerbereich entspricht in diesem Fall besonders für Grundlastbetrieb weitgehend der Laufzeit ( "Bild 2.3-3"). Für moderne Maschinen werden inzwischen bei wenigen Starts Gesamtlaufzeiten um 50 000 Stunden erwartet.
Im stationären Betrieb werden im Vergleich zum instationären Betrieb andere, langzeitabhängige Einflüsse auf die Bauteillebensdauer wichtig. Aus diesem Grund wird im Kapitel 3.4 auf Langzeiteinflüsse wie Korrosion, Erosion, Reibverschleiß oder Werkstoffermüdung eingegangen.Dem OEM sind diese natürlich bekannt, und er hat sie bereits bei der Auslegung und Konstruktion für den Normalbetrieb berücksichtigt. Die Aufgabe des Betreibers sollte es deshalb sein, diesen “Normalbetrieb” zu gewährleisten. Dazu ist ein “Sicherheitsgefühl“ auf der Basis von Unkenntnis wenig hilfreich. Stattdessen ist die Kenntnis der Probleme für eine aktive Fürsorge in Betrieb und Wartung der Kostenminimierung äußerst förderlich (Bild 3.2-4). Hier ist das Monitoring, die technische Maschinenüberwachung, mit der sog. Gasstromanalyse besonders hilfreich (Kapitel 5.1.1).
"Bild 2.3-1": Metallische Werkstoffe verformen sich bei erhöhter Temperatur unter statischer Last während der Belastungszeit plastisch (Kriechen). Sie versagen beim Erreichen der Bruchkriechdehnung. Dieser Vorgang verläuft nach der Kriech- oder Zeitstandkurve (gleichbleibende Temperatur und statische Zugbelastung), die hier in typischer Form dargestellt ist. Je nach Werkstoff, Beanspruchungshöhe und Temperaturniveau kann sich die Kurve deutlich verändern. Dies zeigt sich in einer unterschiedlichen Ausprägung der drei typischen Phasen.
Der Kurvenverlauf ist charakteristisch für einen Vorgang, bei dem zwei gegenläufige Effekte wirken. Im vorliegenden Fall ist die Verfestigung als schwarzer Pfeil und die Entfestigung als weißer Pfeil dargestellt. Je nach Beanspruchungsphase überwiegt die Verfestigung (primärer Kriechbereich “I“), sind beide Effekte etwa gleich groß (sekundärer Kriechbereich “II“) oder es überwiegt die Entfestigung (tertiärer Kriechbereich „III“) kurz vor dem endgültigen Versagen durch Bruch. Technisch werden die Bereiche “I“ und “II“ genutzt. Diese bestimmen auch die Auslegung der Bauteile.
"Bild 2.3-2": Grundsätzlich werden die teuren Werkstoffe der Heißteile, besonders Superlegierungen in der Nähe des Grenzbereichs der maximal möglichen Anwendungstemperatur betrieben. Deshalb kann die folgende Betrachtung als allgemeingültig gelten. In diesem Diagramm zur Kriechlebensdauer von Heißteilen ist auf der Ordinate die Zugbelastung aufgetragen. Das Werkstoffverhalten ist in Kurven den jeweiligen Betriebstemperaturen zugeordnet. Für einen typischen Schaufelwerkstoff (Ni-Basis Gusslegierung, siehe "Bild 3.3-4") lässt sich der Temperatureinfluss auf die (Kriech-) Lebensdauer (siehe auch "Bild 2.3-1") gut erkennen: In erster Näherung wird im tragenden Querschnitt einer Hochdruck-Turbinenrotorschaufel (erste Rotorstufe hinter der Brennkammer) von einer typischen Zugbelastung um 90 MN/m2 (Punkt “1“), ausgegangen. In diesem Fall ist, entsprechend der Kurve für eine konstante Betriebstemperatur von 1030°C (Punkt “2“), mit einer Lebensdauer von ca. 2000 Betriebsstunden (Punkt “L/2“) zu rechnen. Für eine ca. 15°C niedriger liegende Betriebstemperatur bei 1015°C erhält man in Punkt “3“ eine ca. doppelt so hohe Kriechlebensdauer (Punkt “L“).
Umgekehrt heißt das: Eine Erhöhung des Temperaturniveaus von 15°C führt zu einer Halbierung der Kriechlebensdauer. 30 °C verkürzen die Lebendauer auf ein Viertel. Bei 45 °C handelt es sich bereits um ca. den Faktor 10.
Dieser Zusammenhang ist von entscheidender Bedeutung. Er erklärt z.B., warum es vom Standpunkt der Reparaturkosten für den Betreiber durchaus vorteilhafter sein kann, eine größere Maschine bei relativ niedrigen Heißgastemperaturen (engl. derated) zu betreiben, als eine kleinere Maschine bei Vollast (siehe Bild 2.2-6).
"Bild 2.3-3": Bei vielen Heißteilen wird die Lebensdauer im stationären Betrieb von Zeitstand bzw. Kriechen ( "Bild 2.3-1") bestimmt. Dabei ist der Zusammenhang zwischen Lebensdauer und Laufzeit nahezu linear. Das gilt für die
- aktuelle Lebensdauer in typischen Maschinenzuständen. Sie wird mit einem computergestützten Monitoring bestimmt (Kapitel 5.1.1). Das gilt auch für die
- aktuelle Lebensdauer wenn sich die Maschine immer im ‘sauberen Zustand’ befände.
- Die Betriebslebensdauer der laufenden Maschine weicht von diesen Angaben deutlich ab. Sie gaukelt hier einen gefährlich niedrigen Lebensdauerverbrauch vor. Damit besteht die Gefahr von überraschenden Schäden mit hohen Kosten (Folgeschäden, Ausfallzeiten) sowie logistischer Probleme (Ersatzteilbeschaffung).
Gewöhnlich wird die Lebensdauer von 2 % Kriechdehnung (plastischer Verformung) begrenzt. Für Derivate liegt diese Lebensdauer typischerweise auslegungsgemäß bei 100% Leistung ca. 20 000 Betriebsstunden.
Der erhöhte aktuelle Lebensdauerverbrauch beruht auf einem Temperaturanstieg, um die Leistungseinbuße durch Wirkungsgradabfall (engl. deterioration, Kapitel 2.5.1.1) zu kompensieren. Dabei spielt das Fouling des Verdichters eine wichtige Rolle. Neben dem Temperaturanstieg kann auch die Rotordrehzahl ansteigen und damit die mechanische Belastung (Fliehkraft) der Rotorkomponenten. Es sei angemerkt, dass bei gekühlten Turbinenschaufeln moderner Gasturbinen häufig die lebensdauerbestimmende Größe Thermoermüdung ist. Diese hängt besonders von Art und Zahl der Start/Abstellzyklen und eventuellen Leistungsänderungen ab ( "Bild 2.2-5"). Sie ist aber auch im stationären Betrieb bei den entsprechenden Temperaturgradienten vorhanden.
"Bild 2.3-4": Die abgegebene Leistung einer Gasturbine beeinflusst die Lebensdauer der Heißteile gravierend. Das gilt besonders für Brennkammer und Beschaufelung, die im Kontakt mit dem Heißgasstrom stehen.Wegen der Kühlung sind jedoch Gastemperaturänderungen nicht den lebensdauerrelevanten Materialtemperaturen gleichzusetzen, sondern gewöhnlich etwas niedriger. Dafür sind z.B. Kühlluftschleier zwischen Gasstrom und Bau-teiloberfläche (Brennkammer, HDT-Schaufeln) verantwortlich.
Im Diagramm dürften in erster Linie konstante Temperatur und Belastung des stationären Betriebs und damit der Kriecheffekt berücksichtigt sein. Man erkennt den Anteil unterschiedlicher Einflüsse auf die Lebensdauer als Folge einer Änderung des Temperaturniveaus des Heißgases. Wegen dem exponentiellen Temperatureinfluss ( "Bild 2.3-2") kann, abhängig von der abgegebenen Leistung, die Lebensdauer um ein Vielfaches betroffen sein. Dieser Effekt ist deutlich leistungsabhängig und besonders bei niedrigen Leistungen ausgeprägt.
Dabei spielt nicht nur die Kriechlebensdauer ( "Bild 2.3-3") eine Rolle, sondern auch Thermoermüdung ( "Bild 3.3-16"). Diese ist zwar in instationären Betriebszuständen (z.B. Start, Abstellen, Leistungsänderungen) besonders ausgeprägt. Sie wirkt aber auch im stationären Betrieb durch Wärmespannungen auf Grund der Temperaturgradienten, insbesondere in intensiv gekühlten Bauteilen wie Turbinenschaufeln ( "Bild 3.3-14" und "Bild 3.3-15"). Dieser Effekt sollte in Algorithmen moderner Programme berücksichtigt sein. Der exponentielle Temperatureinfluss verlängert die Lebensdauer um das Fünffache, wenn statt 100% Leistung lediglich 90 % benötigt werden.
Ein entsprechendes Schaubild lässt sich mit Hilfe einer computergestützten Gaspfadanalyse abrufen. So entsteht ein wichtiges Instrument um Betriebskosten zu minimieren und für logistikbasierte Entscheidungen.