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4.2.3.1 Schrauben und Muttern
Es sollte selbstverständlich sein, nach den OEM-Angaben zu arbeiten. So ist auf die Einhaltung der vorgeschriebenen Anzugsmomente und/oder vorgegebenen Dehnungen zu achten. Während die Verwendung eines geeichten Drehmomentschlüssels wohl allgemein als unerlässlich angesehen wird, gilt dies für die regelmäßige Überprüfung des Schlüssels nicht unbedingt.
Das Anziehen von Verschraubungen ist ein besonders wichtiger Vorgang, der die Festigkeit der Schraubverbindung entscheidend beeinflusst. Eine zu niedrige Schraubenvorspannung birgt die Gefahr von Schwingbrüchen, eine zu hohe Vorspannung die der Gewaltschädigung. Für die erzielte Vorspannung im Schraubenschaft ist das verwendete Schmiermittel ( "Bild 4.2.3.1-1") entscheidend. Nicht selten sind die Anzugsbedingungen von Medien beeinflusst, denen nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Typisch ist die Verwendung von neuen Schrauben auf denen sich noch Konservierungsöl befindet, wenn dieses eigentlich vor der Verwendung lt. OEM entfernt werden sollte.
Weiter ist auf Beschichtungen der Gewinde von Schraube und Mutter (z.B. Silber oder Gleitlacke) zu achten. So mag es vom Korrosionsverhalten her eine Gleichwertigkeit zweier Beschichtungsvarianten geben, die Reibbeiwerte lassen jedoch einen Tausch nicht zu. Im Zweifelsfall sollte eine Klärung beim OEM erfolgen. Bei Verwendung von Schrauben aus neuer Lieferquelle oder bei Alternativen im Fall von Engpässen im Lagerbestand ist zumindest eine Überprüfung mit einem Schraubenmessgerät empfehlenswert. Versilberte Schrauben in Heißteilen haben zwar den Vorzug einer geringeren „Fressneigung“, niedriger, wenig streuender Gewindereibung und leichteren Öffnens. Ein gravierender Nachteil des Silbers ist jedoch das Begünstigen von Sulfidation und versprödender Diffusionsvorgänge. Aus diesem Grund werden heute in Heißteilen oft unversilberte Schrauben verwendet. Verschraubungen bilden einen nicht zu unterschätzenden Kostenfaktor. Die Frage nach der mehrmaligen Verwendung von Schrauben und Muttern stellt sich deshalb häufig. Die Antwort hängt von den Erfahrungen des Herstellers mit der jeweiligen Verschraubung ab. Bei Heißteilen beobachtet man, dass festsitzende Schrauben nur noch mit sehr hohen Losbrechmomenten zu lösen sind. Dann besteht die Gefahr einer unerkannten Schädigung des Schraubenschafts. Bei einer Wiederverwendung steigt so das Risiko des Bruchs. Deshalb werden unversilberte Schrauben nach dem Lösen gewöhnlich nicht mehr wieder verwendet.
Wie die Erfahrung zeigt, ist eine Schadensverhütung durch kritisches und aufmerksames Personal gerade bei Schraubverbindungen besonders effektiv. Es sollte deshalb mit technischen Informationen „motiviert“ werden. Alarmierend sind alle Abweichungen vom gewohnten Verhalten der Schraubverbindung beim Anziehvorgang, insbesondere eineVeränderung des Dehnverhaltens in Abhängigkeit vom Anzugsmoment.
"Bild 4.2.3.1-1": Schrauben sind ein wichtiges Maschinenelement mit großer Sicherheitsrelevanz. Sie bedürfen deshalb unserer besonderen Aufmerksamkeit. Dies gilt sowohl für die Vorbehandlung der Schraube als auch für den eigentlichen Anzugsvorgang und das Lösen. Vorbehandlung: Zuerst ist anhand der gültigen Vorschriften oder Empfehlungen zu klären, ob es sich um die vorgeschriebenen Schrauben (Ausführung, Hersteller) handelt. Dann ist festzustellen, ob und wie das Gewinde geschmiert werden muss. Wenn die Gewinde bereits eine Beschichtung aufweisen, ist häufig eine Schmierung nicht vorgesehen. In diesem Fall muss auch etwaiges Konservierungsöl entfernt werden. Sonst besteht die Gefahr einer Überbeanspruchung der Schraube durch das vorgeschriebene Anzugsmoment. Wenn doch geschmiert werden muss, ist das richtige, d.h. das vom OEM vorgeschriebene, Schmiermittel anzuwenden.
Merke: Die Gewindereibung (Mutter und Schraube) ist von entscheidender Bedeutung für die gewünschten Eigenschaften, die Betriebsbelastung bzw. die Betriebsfestigkeit der Verschraubung
Falsche Schmiermittel können auch zu Korrosion oder Versprödung und damit zum Schraubenbruch im Betrieb führen. Falls Schrauben wiederverwendet werden ist zu prüfen, ob der OEM dies zulässt und bestimmte Maßnahmen zur Qualitätssicherung fordert. Zu solchen Maßnahmen gehört eine Lupenkontrolle, eine geeignete Rissprüfung und/oder eine Neubeschichtung. Bei selbstsichernden Muttern ist wegen der Sicherungswirkung ebenfalls die Wiederverwendbarkeit zu klären. Anzugsvorgang: Dabei ist auf das richtige Anzugsmoment zu achten. Falls sich dies ungewöhnlich verhält, z.B. wenn es wegen zu starker Schraubendehnung nicht, oder erst nach merklich mehr Umdrehungen als üblich erreicht wird, ist die Ursache zu überprüfen (Beispiel 4.2-7). Fragen wie nach der Eichung des Drehmomentschlüssels oder dem richtigen Schraubenwerkstoff sind zu klären.
Lösen der Verschraubung: Löst man eine Schraubenverbindung, ist auf eventuell lockere Schrauben oder ein Abdrehen festsitzender Schrauben zu achten. Es kann sich um Alarmzeichen für Schraubenprobleme handeln. Schrauben, deren Losbrechmoment eine Überlastung befürchten lässt, sollten nicht wiederverwendet werden.
Merke: Verhalten sich Schrauben beim Anziehen oder Lösen ungewöhnlich, ist die Ursache zweifelsfrei zu klären.
Gegebenenfalls empfehlen sich vergleichende Prüfungen auf einem Schraubenmessgerät. Über ein solches Gerät sollte der OEM oder das Labor einer renommierten Maschinenversicherung verfügen.
Beispiel 4.2-7: Für das Gewinde eines Verspannungselements war eine grafithaltige Schmierpaste vorgeschrieben. Aus technischen Gründen wurde bei der Montage jedoch MoS-haltiger Schmierstoff verwendet. Beim für die Montage notwendigen Einführen des Gewindeschafts durch eine Zentrierbohrung eines hochbelasteten Bauteils aus einer Ni-Legierung wurde dort etwas von der Dichtmasse abgestreift und zwischen Zentrierflächen eingeschlossen. Die Betriebstemperatur zersetzte die Dichtpaste unter Luftmangel, bevor sie durch Oxidation unschädlich wurde. So konnte die Diffusion des Schwefels aus der Paste Rissbildung und Bruch des Bauteils mit extremen Folgeschäden auslösen.
"Bild 4.2.3.1-2" (Lit. 4.2-4): Mechanische Betriebsbelastungen, die ursächlich zu Schraubenbrüchen führen, sind in erster Linie dynamisch. Dabei entstehen Schwingbrüche/-risse. Sie können sowohl durch hochfrequente Schwingungen als auch niedrig frequente Belastungen wie Thermoermüdung oder zyklische Fliehkraftänderungen entstehen.
Schwingbrüche erscheinen auch an zähen Werkstoffen verformungslos.Trotzdem fallen sie nicht unter den Begriff Sprödbrüche, denn der Werkstoff ist nicht versprödet sondern erscheint nur durch den Rissfortschrittmechanismus so. Bei noch vorhandener Auswertbarkeit im REM lassen sie sich in den meisten Fällen vom Fachmann sicher identifizieren. Mit genügender Erfahrung ermöglicht die Bruchfläche auch eine makroskopische Bewertung. Dabei sind zumindest erste Hinweise auf Art und Höhe der dynamischen Belastung zu erwarten.
An Schrauben gibt es, bedingt durch Spannungskonzentration an Krafteinleitungen und Formkerben, Bereiche, die bei Überlastung für Schwingbrüche prädestiniert sind.
Schwingbrüche bei auslegungsgemäßer Belastung können von fertigungs-, montage- oder betriebsbedingten Schwachstellen und Schädigungen ausgehen. Zu betriebsbedingten Schädigungen (Rahmen oben) gehören:
- ‘Anfressungen’ wie Korrosions- und Sulfidationsgrübchen (an Ni-Legierungen).
- Schwingverschleiß (Fretting).
- Bei der Montage können ‘Fressriefen’ am Schaft entstehen.
Statische Last erzeugt schadensursächlich bei ausreichend hoher Betriebstemperatur Zeitstand- bzw. Kriechbrüche mit plastischer Verformung (Kriechen). Bei langen Betriebszeiten unter niedriger Last kann die Kriechdehnung sehr klein sein. Sie fällt nicht unbedingt durch deutliche plastische Verformung auf. Trotzdem ist auch in diesen Fällen nicht von einer bruchursächlichen Werkstoffversprödung auszugehen. Ein Merkmal ist im Vergleich zum Restbruch verstärkte Oxidation der Bruchfläche. Das erschwert auch die mikroskopische Auswertung besonders im Anrissbereich. Metallografisch kann Kriechporenbildung einen sicheren Nachweis ermöglichen.
Gewaltbrüche infolge mechanischer Überlastung sind an Schrauben in Gasturbinen äußerst selten. Sie können als Folgeschäden entstehen, beispielsweise
- im Containmentfall an der Verschraubung von Gehäuseflanschen
- Bei extremen Unwuchten (Schaufelbruch, Rotorverkrümmung) an Rotorverschraubungen
- Als Scherbruch an einem zentrischen Spannbolzen nach dem Nabenbruch eines Turbinenrads.
- An Flanschverschraubungen in Rotoren durch ein herumwirbelndes Bruchstück oder einen Fremdkörper (z.B. Werkzeug).
Je nach Art und Richtung der Überlastung (Zug, Biegung, Scherung, Torsion) kann sich ein typischer Bruchverlauf ausbilden (Rahmen unten). Aus dem makroskopischen und mikroskopischen Bruchbild, gegebenenfalls mit einer Makroätzung (bei beschädigter Bruchfläche) lassen sich Gewaltbrüche identifizieren sowie Belastungsrichtung und -art auswerten.
"Bild 4.2.3.1-3" (Lit. 4.2-4): Die weitaus meisten Brüche und Risse in Schrauben in Gasturbinen haben, bis auf Gewaltbrüche, bei denen es sich gewöhnlich um Folgeschäden handelt, ein zumindest makroskopisch sprödes Aussehen. Dies kann verschiedene Ursachen haben.
Schadensursächliche Versprödungen:
Spannungsrisskorrosion ist eine potenzielle Bedrohung hochfester Schrauben und Muttern aus Stählen („A1“, „A2“). Zu Rissen und Brüchen kommt es unter auslegungskonformen Betriebseinflüssen nur, wenn das Gefüge/der Werkstoff von den Vorschriften abweicht. Meist lässt sich dies mit dem Überschreiten spezifizierter Härtegrenzen (meist 32 HRc) nachweisen. Die Bruchbilder erscheinen oft ausgeprägt kristallin und weisen Korrosionsmerkmale (Rost), insbesondere am Ausgangsbereich auf. Mikroskopisch lässt sich an auswertbaren Bruchflächen diese Schadensart vom Fachmann problemlos und sicher identifizieren. Merkmale zeigen die Verwandtschaft des Schädigungsprozesses zur Wasserstoffversprödung.
Wasserstoffversprödung („B1“, „B2“, „B3“) wird von Wasserstoff verursacht, der bei einem nicht vorschriftsgemäßen (zu langer Zeitraum bis zur Entsprödung) Fertigungs- oder Überholungsprozess in das Material eingedrungen (diffundiert) ist. Diese Versprödung entwickelt sich über längere Zeit (Lagerung, Betrieb), ist irreversibel und ist nicht mit einem Schlagversuch nachweisbar. Typische Verfahren, die eine Wasserstoffversprödung verursachen können, sind galvanische Beschichtungen, Ätzen und das Abziehen von Schichten.
Versprödung durch Eindiffusion von Fremdmetallen im festen Zustand (SMIE). Diese Gefahr besteht bei unvorgesehen hohen Betriebstemperaturen. Risse gehen bevorzugt im Gewinde („C1“) aus.
Versprödung durch ‘Einschießen’ von Fremdmetallschmelze (Lötrissigkeit, engl LME). Dabei dringt in einem schnellen Vorgang benetzende Metallschmelze in den unter ausreichender Zugspannung stehenden Werkstoff („D1“). Die Bruchfläche kann im Anrissbereich eine ungewöhnliche Verfärbung aufweisen (z.B. silbrig) die mit Oxidation nicht zu erklären ist.