Inhaltsverzeichnis

zurück  
 weiter

4.3.2. Die Problematik “billiger“ Ersatzteile

 Der Autobesitz bringt uns die folgende Szene plastisch vor Augen: Der Auspuff gibt den Geist auf, teurer Ersatz ist fällig. Da gibt es doch erstaunlich billige Ersatzteile, die nicht vom Originalher-steller stammen! Doch leider kann unserer Aufmerksamkeit entgangen sein, dass hier nur scheinbar dem Originalteil ebenbürtiges vorliegt. Mitunter bemerkt man bereits beim Einbau nicht exakte Maße, die bei der Montage Gewalt verlangen. Dann ist Skepsis angebracht - leider etwas spät. Man hat sich die zusätzliche Mühe des erschwerten Einbaus gemacht und muss nicht selten nach (gegenüber dem Originalteil) extrem kurzer Betriebszeit den Ausfall beklagen.

Auch für Industriegasturbinen gibt es einen Markt billiger Ersatzteile aus unterschiedlichen Quellen. Es kann sich um reparierte Teile oder um Neuteile, die nicht direkt vom OEM stammen, handeln. Auch hier ist Vorsicht geboten, denn billig ist nicht unbedingt preiswert und es gilt; Vertrauen ist gut, Kontrolle durch einen Fachmann unseres Vertrauens ist besser.

Warum sollten Industriegasturbinen von qualitativ unzureichenden Ersatzteilen fragwürdiger Herkunft (Suspect Unapproved Parts = SUPs) und/oder Qualität verschont bleiben? Geht es doch um vergleichsweise hohe Kosten. Selbst der Bereich der besonders gut überwachten Flugtriebwerke hat seit langem mit dieser Problematik zu kämpfen. Auch daraus lässt sich lernen: Nahezu alle Teile einer Gasturbine können aus undurchsichtigen Quellen bezogen werden. Erfahrungsgemäß sind besonders Maschinenelemente wie Schrauben, Rohrschellen, Leitungsverbindungen und Lager betroffen.

Es gibt sehr unterschiedliche Gründe für die Existenz nicht vom OEM zugelassener Teile:

Die Herkunft suspekter Teile (engl. suspect unapproved parts = SUPs) kann sehr unterschiedlich sein:

Solche Teile können durchaus betriebstauglich sein. Kommt es trotzdem zu einem Schaden ist jedoch anzunehmen, dass der OEM eine Verantwortung ablehnt. Möglicherweise ist auch die Versicherungsleistung betroffen.

Äußere Merkmale ( "Bild 4.3.2-1") suspekter Teile sind u.a.:

Die sicherste Methode, derartige Probleme zu vermeiden, sind immer noch Originalteile mit der Garantie des OEM.

MERKSATZ:

Reparaturteile aus nicht zurückverfolgbarer Quelle oder mit ungewöhnlichem Erscheinungsbild sollten nur dann beschafft werden, wenn zuvor anhand typischer Probeteile festgestellt wurde, dass sie den Herstellervorschriften entsprechen!

Bild 4.3.2-1

"Bild 4.3.2-1" (Lit. 4.2-4): Es gibt teilespezifische potenzielle Merkmale für den Verdacht auf ein SUP. Natürlich sind bei weitem nicht alle Besonderheiten der Beweis für ein SUP. Ob der Verdacht berechtigt ist, dürfte sich erst bei einer eingehenderen Untersuchung zeigen. Grundsätzlich gilt:

Ungewöhnliches ist suspekt!

Geometrische Besonderheiten: Hier handelt es sich nicht um Abweichungen außerhalb von Zeichnungstoleranzen und Spezifikationen. Selbst innerhalb dieser können Toleranzen, die anders als bisher üblich an der oberen oder unteren Grenze liegen, auffallen. So können sich die Fügekräfte von Zentrierungen merklich vom Gewohnten unterscheiden. Das verbessert die Erkennbarkeit, kann aber auch Schäden durch Fressen beim Fügen auslösen. Auffällige Radiengeometrien und scharfkantige Ecken sind in der Lage, unerkannt örtliche Belastungen mit einer Beschädigung zu erhöhen (Kerbwirkung). Das kann die Schwingfestigkeit gefährlich absenken. Treten solche Schäden auf, kann dies ein Hinweis auf ein SUP sein. Handelt es sich um durchströmte Öffnungen, sind scharfe Kanten und Grate durchaus in der Lage, das Betriebsverhalten (z.B. Brennkammern und Regler) unzulässig zu beeinflussen.

Bearbeitungsbesonderheiten: Neben den bereits angesprochenen Graten und schlecht verrundeten Kanten gibt es weitere Merkmale. Dazu gehört eine unübliche Orientierung der Bearbeitungsriefen. Gewöhnlich wird der OEM darauf achten, dass diese nicht quer zur kritischen Beanspruchung verlaufen. Wird davon abgewichen, ist dies als ein Zeichen zu werten, die Herkunft des Teils genauer anzusehen. Rauigkeiten, selbst innerhalb der Spezifikation, können sich in der Topografie (Struktur) durchaus merklich unterscheiden. Ein Merkmal kann eine matte oder reflektierende/glänzende Oberfläche sein. Das ist nicht nur eine Äußerlichkeit. Es kann Merkmal eines veränderten Herstellungsprozesses und einer deutlichen Festigkeitsbeeinflussung sein. Eine matte Oberfläche kann z.B. von einem abrasiven Strahlvorgang herrühren der etwas, z.B. eine Nacharbeit, überdecken sollte. Matte Oberflächen entstehen auch durch Ätzbehandlungen. Sind diese nicht vorgesehen, besteht die Gefahr, dass ein unzulässiger Ätzangriff vorliegt, der die Schwingfestigkeit unzulässig absenkt.

Kugelstrahlflächen sind gewöhnlich erforderlich, um örtlich die notwendige Schwingfestigkeit zu gewährleisten. Fehlen typische Anzeichen einer Kugelstrahlbehandlung, handelt es sich um eine gefährliche Abweichung. Beispielsweise sind die Füße vieler Turbinenrotorschaufeln kugelgestrahlt. Die Begrenzung oder das Strahlbild der kugelgestrahlten Fläche lässt sich visuell einschätzen. Stimmt dies nicht mit den Originalteilen überein, ist dies äußerst bedenklich. Dazu gehört, wenn die (spröde) Diffusionsschicht für den Oxidationsschutz überstrahlt ist. Hier wäre eine Überprüfung auf SUP-Verdacht angesagt.

Verfärbungen sind ein wichtiges Merkmal für Ungewöhnliches. Hierzu gehören Verteilung, Intensität und Farbtöne von Anlauffarben. Sie müssen nicht selbst das Betriebsverhalten beeinflussen, können aber ein Hinweis auf Abweichungen in der Fertigung ein. Anzeichen von Rost können in Zusammenhang mit einer ungeeigneten Verpackung stehen, die ihrerseits Argwohn hervorruft.

Nacharbeitsspuren an Neu- und Reparaturteilen, wenn ungewöhnlich, sollten die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Sie kann sich an örtlich verändertem Aussehen der Oberfläche (Bearbeitungsriefen, Polierflächen, flache Ein senkungen) zeigen. Es besteht immer der Verdacht, dass hier eine Schädigung vorlag, die nicht vorschriftsgemäß entfernt wurde. Besonders bedenklich ist es, wenn diese Spuren sich auf Neuteilen in besonders hoch belasteten, die Lebensdauer bestimmenden Zonen befinden. Zumindest müssen solche Merkmale mit den einschlägigen Vorschriften (Zeichnung, Handbücher usw.) in Übereinstimmung stehen.

Schweißungen und Lötungen: Besonderheiten im Aussehen sind bemerkenswert. Eine sehr raue Lötung kann auf nicht genügende Aufschmelzung durch abweichende Lötparameter oder Loteigenschaften hinweisen. Auffällig breite Nähte sind ebenfalls suspekt. Das gilt auch für ungewöhnlich schlecht aussehende Schweißnähte, die möglicherweise mit nicht ausreichend fachkundigem Schweißpersonal in Zusammenhang stehen.

Beschichtungen können ein wichtiger Indikator sein. Abweichungen in Farbe und Rauigkeit fallen zuerst auf. Aber auch auf ungewöhnliche Fehler und Abplatzungen ist zu achten. Sie können ein Hinweis auf Haftfestigkeitsmängel und damit auf Verfahrensabweichungen sein. Möglicherweise im Zusammenhang mit einem nicht zugelassenen Hersteller. Doch auch zugelassene Hersteller sind nicht über jeden Verdacht erhaben. So wurde vor längerer Zeit ein Fall bekannt, bei dem statt einer (Diffusions-?) Beschichtung Turbinenschaufeln lediglich lackiert wurden.

Montageverhalten: Darunter sollen Auffälligkeiten und Probleme beim Zusammenschieben der Teile verstanden werden. Enge Toleranzen, selbst im vorgeschriebenen Toleranzfeld, können die Montagekräfte merklich erhöhen und so dem Monteur auffallen, wenn er diesen Effekt bisher nicht derart ausgeprägt erlebte. Auch das Gleit- bzw. Reibverhalten auf Grund einer veränderten Bearbeitungsstruktur kann solche Effekte hervorrufen.

Magnetische Eigenschaften werden wohl eher zufällig auffallen. Möglicherweise bleiben magnetische Werkzeuge oder Kleinteile an einem Bauteil, das eigentlich aus einer unmagnetischen Ni-Legierung oder Ti-Legierung bestehen sollte, hängen. Umgekehrt kann ein bekannterweise magnetisches Teil diese Eigenschaft nicht wie erwartet ausgeprägt zeigen. Solche Effekte sind Indizien für eine Werkstoffabweichung und damit für ein unzulässiges Bauteil.

Kennzeichnungen als „Personalausweis“ eines Bauteils dürfen keine verdächtigen Abweichungen aufweisen. Auf Zusätze, die auf Nacharbeiten oder geänderte Versionen schließen lassen, ist zu achten. Auch das Verfahren mit dem die Kennzeichnung angebracht wurde, kann Hinweise geben. Wurde die Kennzeichnung an einer ungewöhnlichen Stelle angebracht, sollte das alarmieren.

Verpackungen sind zwar nur ein indirektes Indiz für die Zulässigkeit des enthaltenen Bauteils. Trotzdem sind Abweichungen vom Üblichen zumindest einer Nachfrage wert. Handelt es sich um Neuteile, ist die Unversehrtheit der Originalverpackung wichtig. Ungewöhnliche Dinge wie auffälliges Schutzöl (z.B. Geruch, Farbe, Konsistenz) sollten ebenfalls die Aufmerksamkeit erregen.

 Beispiel 4.3-1

Beispiel 4.3-1: Sowohl die für den Betrieb vom Hersteller zugelassenen Schadensgrenzen (Rissbildung, Deformation) als auch der zulässige Umfang von Reparaturen sind für Turbinenleitschaufeln wegen ihrer spezifischen Betriebsbeanspruchungen höher als für Rotorschaufeln.

So gibt es geradezu “Virtuosen” unter Reparaturshops, die im Rahmen der OEM-Vorschriften Reparaturlötungen vornehmen. Natürlich ist von einer solchen Schaufel, auch wenn sie vom OEM zugelassen ist und ein weiteres Überholintervall übersteht, nicht dieselbe Festigkeit wie von einer Neuschaufel zu erwarten. Auch weitere Reparaturzyklen sind entweder nicht mehr zulässig oder stark eingeschränkt. Die verwendeten Hochtemperaturlote haben zwar einen ausreichend hohen Schmelzpunkt (Diffusion der schmelzpunkterniedrigenden Zusätze beim Lötprozess), aber Kriechfestigkeit und plastisches Verformungsvermögen sind geringer als von Neuteilen. So ist Thermoermüdung schneller und ausgeprägter zu erwarten. Die Lötungen sind also eher als eine Abdichtung und Auffüllung zu verstehen, als eine Wiederherstellung der Neuteilfestigkeit. In diesem Zusammenhang ist besondere Vorsicht bei Billigangeboten von Reparaturteilen geboten, deren genaue Herkunft nicht sicher nachvollziehbar ist. In einem Fall wurden reparierte Turbinenleitschaufeln auf dem internationalen Markt günstig angeboten. Die Untersuchung einiger Muster zeigte jedoch, dass, leicht überspitzt formuliert, nur die Serialnummer nicht aus Lot bestand. Damit entsprachen die Schaufeln wohl auch nicht den Herstellerspezifikationen und wurden nicht beschafft.

 Beispiel 4.3-2

Beispiel 4.3-2: Nach längerer Laufzeit erlitt eine Gasturbine im Pipelinebetrieb einen Lagerschaden im vorderen Verdichter mit umfangreichen Folgeschäden. Die Untersuchung ergab, dass der Lagersitz der Verdichterwelle aus Titan nicht, wie notwendig und in der Triebwerksversion bereits seit einiger Zeit eingeführt, mit einer Verschleißschutzschicht (Wolframcarbid = WC) versehen war. Diese fehlende Schutzschicht ermöglichte extremen Frettingverschleiß. So konnte sich der innere Lagerring lockern. Der Ring rotierte auf der Welle und diese wurde so überhitzt, dass ein Wellenbruch eintrat.

 Beispiel 4.3-3

Beispiel 4.3-3: Eine Gasturbine auf einer Ölbohrplattform fiel relativ kurze Zeit nach der Überholung in einem Shop durch Bruch einer Rotorschaufel in der Hochdruckturbine aus. Die eingehenden Untersuchungen ergaben, dass offenbar die Schadensschaufel von einer mechanischen Einwirkung im Stillstand heftig überlastet wurde. Der Fußbereich wurde plastisch verformt, was im montierten Zustand nicht erkennbar war. Er riss dabei an. Diese Schädigung konnte nur bei der vorhergehenden Überholung entstanden sein. Eine plausible Erklärung war, dass der Rotor bei den Montagearbeiten am Schaufelkranz im “Shop“ unbemerkt anstieß.

zurück  
 weiter