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2.2.5 Startabbruch und Neustart

Kann man bei einem Startabbruch davon ausgehen, dass noch keine maximalen Bauteiltemperaturen erreicht wurden, muss normalerweise nicht mit einer dem Vollstart entsprechenden Lebensdauerbeeinflussung gerechnet werden. Muss ein Start möglichst kurz nach einem Startabbruch wiederholt werden, ist auf vom OEM vorgeschriebene Sonderaktionen zu achten. Hierzu gehört die Drainage möglicherweise vorhandener Kraftstoffreste, die sich im unteren Brennkammerbereich angesammelt haben. Solche Kraftstoffreste können beim Neustart zu extremen örtlichen Überhitzungen des Brennkammerbereichs, aber auch der Turbine führen. Bei Gasturbinen kleiner Leistung besteht zusätzlich die Gefahr des Durchgehens (Überdrehzahl) der Maschine, besonders des Gaserzeugers, wenn der Regelbereich vom Restkraftstoff überfordert ist. Ein spontanes Rotorversagen (Bersten) ist dann nicht auszuschließen. Es gibt in der Startphase auch andere Ursachen für örtliche Überhitzungen der Heißgasführung. In einem solchen Fall besteht der Verdacht einer Fehlfunktion des Einspritzsystems (z.B. Spritzbild der Düse).

Bild 2.2-1

"Bild 2.2-1": Wärmedehnung kann zum zeitweisen Kontakt zwischen Rotor und Gehäuse führen. Im Stillstand ( "Bild 3.1.2.4-2") kann der Rotor vorübergehend festsitzen (klemmen). Die Berührung erfolgt an den Rotorschaufelspitzen mit dem Gehäuse und/ oder den Rotorabstandsringen ( "Bild 3.1.2.4-1"), bzw. der Rotortrommel mit den Leitschaufeln. Das ist in der ersten Betriebsphase nach der Neuinbetriebnahme eher wahrscheinlich. Zu diesem Zeitpunkt sind die Spiele noch nicht eingeschliffen. Sitzt der Rotor nach dem Abstellen kurzzeitig fest, muss es sich um kein bleibendes Problem handeln. Wenn das Handbuch es nicht anders erlaubt, darf aber erst bei wieder freiem Rotor gestartet werden. Ein weiterer, möglicherweise überlagerter Effekt ist eine Rotorverkrümmung (engl. rotorbow, "Bild 2.5-3"). Ein solcher Verzug ist auf eine ungleichmäßige Temperaturverteilung im Rotor zurückzuführen. Die ungünstige Temperaturverteilung entsteht, weil im Stillstand die warme Luft im Gaskanal aufsteigt (A). Die Rotoroberseite wird wärmer. Sie dehnt sich thermisch stärker und verbiegt so den Rotor (B). Ein solcher Zustand kann je nach Gasturbinentyp (z. B. Derivat oder Heavy Frame) im Stillstand erst nach Stunden eintreten und entsprechend lange anhalten. Wenn eine solche Gefahr besteht, sollte der OEM die notwendigen Wartezeiten (Bild unten) bis zum möglichen Neustart angeben. Wird diese Zeit nicht eingehalten, kann es zu schweren Vibrationen und unzulässig starkem Anstreifen mit Rotor- und/oder Schaufelschädigung kommen. In einem solchen Fall besteht die Gefahr der Selbstverstärkung: Beim Anstreifen wird der Rotor örtlich aufgeheizt und biegt sich noch stärker durch. Im Extremfall kann der Rotor durchgeschliffen bzw. extrem überhitzt werden. Konzentriert sich der Verzug des Rotors auf einen Versatz der Flansche und/oder der Passsitze kann es zu einem besonderen Symptom kommen. In diesem Fall wird beim Hochfahren der Maschine anfangs eine deutliche Unwucht beobachtet. Die Vibrationen verschwinden jedoch plötzlich, möglicherweise mit einem Knall. Dieser Vorgang erklärt sich aus einer erneuten Zentrierung durch Setzen von Flanschen, Anlagen und Zentrierungen (siehe Beispiel 2.2-1). Dieses Ereignis dürfte bei Rotoren mit zentralem Spannbolzen ( "Bild 2.1-7") eher zu erwarten sein, als bei außen verschraubten oder verschweißten.

Bild 2.2-3

"Bild 2.2-3": Turbinenräder sind in der Startphase besonders hoch beansprucht (Lit 2-4). Im oberen Bild ist der Querschnitt eines typischen integralen Turbinenrads dargestellt. Solche, in einem Stück gegossene Räder, werden gewöhnlich in Gasturbinen geringer Leistung, sog. Kleingasturbinen verwendet. Derartige integrale Bauteile werden sowohl für Turbine als auch Verdichter als ‘Blisk’ bezeichnet. Der Begriff stammt vom englischen ‘Bladed Disk’. Dargestellt ist die Temperaturverteilung (Skizze oben links) und Beanspruchung (Skizze oben rechts) im stationären Betrieb. In der Startphase sind die mechanischen Belastungen der Nabe besonders hoch. Die schnelle Aufheizung des Radkranzes erfolgt über die große heißgasbeaufschlagte Fläche der Schaufeln. Das erzeugt konstruktionsabhängig nach wenigen Minuten zwischen Nabe und Kranz einen besonders großen Temperaturunterschied mit entsprechenden Gradienten (Bild unten). Dieser bedeutet hohe Wärmespannungen. Im heißen Kranzbereich treten extreme Druckspannungen auf. Sie stehen mit Zugspannungen im Nabenbereich im Gleichgewicht. In der Nabe überlagern sie sich mit Zugspannungen aus der Fliehkraft. In diesem Zeitpunkt erfährt die Nabe eines Turbinenrads die höchsten Zugspannungen. Nahezu alle, wenn auch sehr selten auftretende, Turbinenscheibenschäden ereignen sich deshalb wenige Minuten nach dem Start. In diesem Zeitraum sollte sich das Bedienungspersonal nicht in der Turbinenradebene aufhalten (z.B. bei Einstellarbeiten).

Mit guter Näherung gilt:

15°C Temperaturerhöhung bedeutet

Halbierung der Kriechlebensdauer

im Bereich der typischen Betriebstemperatur von Heißteilen.

Bild 2.2-5

"Bild 2.2-5": Der Überholaufwand (Servicefaktor, Maintenance Factor, Lit 2-5 und Lit 2-6) einer Gasturbine ist in erster Linie von der Beanspruchung der Heißteile abhängig (Skizze links). Besonders die Bauteiltemperatur ist lebensdauerbestimmend. So ist es verständlich, dass die Hochdruckturbine ( "Bild 0-3") die Kosten besonders belastet. Eine Temperaturerhöhung um ca. 15 °C bedeutet unter statischer Belastung, der sog. Kriechbelastung ( "Bild 2.3-2"), eine Lebensdauerhalbierung. Bei zyklischer Belastung durch Wärmespannungen, der sog. Thermoermüdung "Bild 3.3-16"), werden die zyklischen Spannungsspitzen von den örtlichen Spitzentemperaturen bestimmt. Oxidation und Heißgaskorrosion der Heißteiloberflächen sowie Gefügeschädigungen sind ebenfalls deutlich temperaturabhängig. Die Zahl der Starts macht sich besonders bei der Thermoermüdungsbelastung und der zyklischen Fliehkraftbeanspruchung der Rotorkomponenten bemerkbar. Das obere Diagramm zeigt, wie bei gleicher Betriebsstundenzahl bzw. Lebensdauer, abhängig von der Startzahl, die Schädigung bzw. der Reparaturaufwand steigt. Betrachtet man die abgegebene Leistung (Skizze rechts), d.h. indirekt die statische Betriebsbeanspruchung, ist in erster Linie Kriechen ( "Bild 2.3-1") als lebensdauerbestimmend anzusehen. In diesem Fall ist die bereits in Bild 2.2- 5 genannte Beziehung gültig. Sie wird für den Überholaufwand bei hohen Lastspitzen durch die exponentiell ansteigende Kurve repräsentiert (Bild unten). Diese Problematik wird jedoch relativiert, wenn diese Spitzen im Vergleich zur Gesamtbetriebszeit nur selten und kurz auftreten.

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